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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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    Viktor vertiefte sich in die Gesichter der beiden Männer und versuchte sich vorzustellen, welcher der beiden Mladen sein mochte. Der Name hatte sich in seinem Kopf festgesetzt, aber sein Blick blieb an der jungen Frau mit dem windgegerbten, mutigen Gesicht haften, das dabei alle klassischen Züge weiblicher Schönheit trug und auch noch faszinierend symmetrisch schien.
    ›Wie sie wohl heißt?‹ überlegte Viktor.
    Die Kaffeetasse, die sich rechts von der Tastatur herabsenkte, lenkte Viktor ab. Er drehte sich um und sah das höfliche Lächeln des Computerburschen.
    »Kann man auch etwas ausdrucken?« fragte er ihn.
    [433] Der Bursche warf einen neugierigen Blick auf den Bildschirm und nickte.
    »Klick auf das Symbol mit dem Drucker!« sagte er und zeigte mit dem Finger auf den oberen rechten Bildschirmrand.
    Viktor bewegte den Zeiger dorthin, klickte mit der Maus und lauschte. Irgendwo im Café ertönte das Summen eines Druckers. Das Geräusch beruhigte Viktor.
    Der Bursche brachte die ausgedruckte Seite mit dem Foto des Trios vor der Jacht. Die Seite war schwarz-weiß, aber das schöne, mutige Gesicht der jungen Frau hatte nichts von seiner Anziehungskraft verloren.
    Viktor erkundigte sich bei dem Burschen, wie man eine E-Mail abschicken konnte. Der nahm sich einen Stuhl, setzte sich neben ihn und hielt eine Alphabetisierungsstunde in Sachen Computer, an deren Ende Viktor im Internet über seine eigene, noch dazu kostenlose, elektronische Adresse verfügte.
    Dann schrieb er Mladen eine E-Mail, in der er mitteilte, daß er an der Expedition teilnehmen wolle und bereit sei, angemessene finanzielle Hilfe zu leisten. Er beschloß, den Pinguin fürs erste nicht zu erwähnen, schickte die Post ab und seufzte erleichtert. Wieder erinnerte er sich an das Sprichwort zum neuen Jahr. Wie du es beginnst, so wird es. Wenn man annahm, daß der Beginn des neuen Jahres sich noch fortsetzte, da ja der erste Tag des Jahres noch nicht zu Ende war, versprach dieses Jahr Viktor viele angenehme Überraschungen. Und die erste dieser Überraschungen sollte eine elektronische Antwort dieses Mladen werden. Sie würden das Geld sicher nicht ablehnen, besonders, [434] wenn sie es so aktiv in drei Sprachen im weltweiten Netz suchten!
    84
    Nachts konnte Viktor nicht schlafen. Zunächst hatte die Neujahrsmüdigkeit sie alle erfaßt, und gegen acht Uhr abends hatten er, Nina und Ljoscha einmütig gegähnt. Keiner hatte Appetit, aber vor dem Schlafen tranken sie noch jeder ein Gläschen Wodka in der Küche, in der schon wieder alles an seinem Platz war. Genauer gesagt, der Tisch war aus dem Wohnzimmer in die Küche zurückgekehrt, und die normale Küchenharmonie in dem kleinen, mit Kühlschrank, Hängeschränken und anderen funktionalen Details gefüllten Raum war wiederhergestellt. Die Schreibmaschine stand wieder vor den Blicken verborgen unterm Tisch. Viktor saß an seinem Platz gegenüber dem Herd und stellte seinen Fuß im Filzpantoffel auf sie. Die Maschine knarrte zur Antwort.
    Sie saßen noch ein halbes Stündchen beisammen, und auch Mischa kam, stellte sich vor den Herd und wartete, bis Viktor ihm ein Stück Seelachs in seine Schüssel legte. Sonja wollte Apfelschorle. Den Erwachsenen genügten eingelegte Gurken zum Wodka. Gespräche kamen an diesem Abend nicht recht zustande, die vorige Festnacht machte sich bemerkbar. Aber sie tranken freundschaftlich aufs neue Jahr, auf neues Glück und auf alles Gute.
    Die Katze ließen sie nicht in die Küche. Ihr offizieller Platz war im Flur, wo ihr Schälchen stand und Viktors [435] alter blauer Pullover, anstelle eines Katzenkorbes, für sie auf dem Boden lag. Nachts streifte sie durch die Wohnung und schlief entweder bei Sonja auf dem Sofa oder auf Ljoschas zusammengeschobenen Sesseln.
    Um neun Uhr wurde es still in der Wohnung und in der ganzen Stadt. Viktor löschte das Licht, zog sich schnell aus, ohne zu Nina hinüberzuschauen, die sich im Dunkeln ebenfalls auszog, und glitt unter die Decke. Im Einschlafen spürte er, wie Ninas Finger seine Schulter berührten und versuchten, seine Haut zu wecken und seine Aufmerksamkeit zu erregen. Er rutschte von ihren Fingern fort und schlief ein.
    Nachts drang im Schlaf ein merkwürdiger Schrei oder Schluchzer aus dem Wohnzimmer zu ihm. Der Laut war so ungewohnt, daß Viktor mit offenen Augen dalag und in die nächtliche Stille horchte, wie um einen Nachhall aufzufangen. Es ließ ihm keine Ruhe, und schließlich stand

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