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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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morgen erst um drei zurückgekommen«, entschuldigte Pascha Sergej Pawlowitsch. »Das ist eine wahre Plage! Wasja, noch ein anderer Berater, hat ihm eine Liste aufgestellt. Siebzig Personen, denen er ein gutes neues Jahr wünschen muß. Parlamentsabgeordnete, Beamte. Ohne geht es nicht. Das ist eben Politik. Ein paar [439] von denen findet er zum Kotzen, aber er muß mit ihnen trinken und übers Wetter und über den Beitritt zu Europa reden… Sogar mit mir schwatzt er jetzt mehr! Früher gab es irgendwie nichts groß zu sagen, aber jetzt!« Pascha schnalzte mit der Zunge.
    »Dann komme ich vielleicht später wieder?« schlug Viktor vor, der das Gefühl hatte, hier nicht gebraucht zu werden.
    »Nein, warte! Er hat dir doch gesagt, du sollst kommen?«
    »Hat er.«
    »Du bist doch praktisch angestellt, da mußt du warten«, sagte Pascha ernst. »Denkst du, mich braucht er jede Minute? Nein! Manchmal sitze ich zwei Stunden nur so herum. Aber ich bin im Dienst! Also gewöhne dich auch dran!«
    Viktor trank Kaffee und überlegte: Wollte er sich denn an den Dienst gewöhnen? Eine bestimmte Aufgabe erledigen, das war noch annehmbar und konnte sogar interessant sein. Aber einfach nur auf Befehle warten?
    »Habt ihr schön gefeiert?« fragte er Pascha zur Ablenkung.
    »Na klar.« Pascha zuckte die Achseln. »Alle Welt kam mit Glückwünschen und Geschenken. Sie sitzen fünf Minuten da, trinken, und dann, auf zum nächsten! Wahrscheinlich hatten die alle solche Listen mit hundert Besuchen für den Abend! Gegen vier wurde es ruhig, wir haben Gin-Tonic getrunken und Pornovideos geguckt. War in Ordnung!«
    In Paschas Tasche klingelte das Handy. Er zog es heraus [440] und sah nach dem Namen des Anrufers auf dem Display. Sofort trat ein respektvoller Ausdruck auf sein Gesicht.
    »Ja!« sagte er in den Hörer. »Ich gehe ihn holen, eine Sekunde. Sergej Pawlowitsch hat sich hingelegt, aber ich werde ihn wecken!«
    Mit einem entschuldigenden Blick zu Viktor lief Pascha rasch aus der Küche. Ein paar Minuten später kam er wieder.
    »Wer war das?« fragte Viktor.
    »Potapytsch.«
    Viktor kam der Name bekannt vor. Er runzelte die Stirn und versuchte sich zu erinnern, wo und wann er ihn gehört hatte. Dann sah er Pascha fragend an.
    »Na, das ist eine von den Doppelkopfschnecken«, griff der Leibwächter des Chefs die stumme Frage auf. »Er ist jetzt Präsidentenberater, früher allerdings…« Pascha bekundete kopfschüttelnd sein fassungsloses Unverständnis.
    Viktor nickte.
    »Dafür wird er nach diesem Gespräch gleich aufstehen!« erklärte Pascha und trank seinen Kaffee aus. »Ein Gespräch mit einem von denen macht ihn immer gleich munter.«
    Und tatsächlich schaute einige Minuten später Sergej Pawlowitsch im langen Tigerfellmorgenmantel in die Küche. Er reichte Pascha das Handy und sah Viktor an.
    »Oh! Ausgezeichnet. Willkommen in der Mannschaft! Bleib ein wenig sitzen, ich werfe mich in Schale, und dann reden wir!«
    Der Chef brauchte etwa eine halbe Stunde für seine ›Schale‹ und erschien dann im Trainingsanzug, der, anders als der von Pascha, nicht nach Skilaufen aussah. Das Haar [441] war frisch gewaschen, der ganze Chef roch nach teurem Eau de toilette.
    »Komm!« Er winkte Viktor, ihm zu folgen. Dann sah er sich zu Pascha um. »Mach uns noch einen Kaffee!«
    Sie ließen sich in den Sesseln im Salon nieder.
    »Bevor ich es vergesse«, begann der Chef. »Hier interessiert man sich wieder für dich… Vermutlich bin ich schuld, ich habe dir doch einen Abgeordnetenberaterausweis machen lassen, und dort kopieren sie alle Unterlagen und geben sie an alle möglichen Stellen weiter. Jedenfalls hat mich einer in Zivil nach dir gefragt. Ob ich wüßte, was du früher gemacht hast und dergleichen. Hielten mich für einen Idioten.« Der Chef lachte. »›Haben Sie ihn überprüfen lassen? Hat er nicht schon mal gesessen?‹ Hat mir Fragen gestellt, als wäre ich bescheuert. Ich habe ihn hübsch beruhigt, also mach dir keine Sorgen, aber sei ein bißchen auf der Hut. Und jetzt zu unseren Angelegenheiten! Hast du nicht vergessen, wofür du in meiner Mannschaft zuständig bist?«
    »Humanitäre Fragen.«
    »Richtig! Das kannst du nämlich gut. Allein schon die Prothesen!« Sergej Pawlowitsch lachte wieder. »Ich gebe dir hier eine Sammlung Bittbriefe. Nimm sie mit nach Hause und guck sie mal durch, Unsinn gleich in den Mülleimer. Und komm nicht auf die Idee, mir alles zu referieren. Konkrete Bitten, möglichst nicht zu

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