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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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alle Muskeln in der rechten Hand an.
    Er fühlte, wie Ljoschas Hand sich mit Kraft füllte, und er versuchte, dem unerwarteten Druck standzuhalten, aber es gelang ihm nicht. Ljoscha drückte Viktors Hand auf die Tischplatte. Dann ließ er los.
    »Ich dachte, du spielst bloß Schach«, bemerkte Viktor und rieb seine besiegte Rechte.
    Daß er verloren hatte, kränkte ihn nicht im mindesten, im Gegenteil, diese Niederlage gab ihm geradezu Energie und hellte seine Stimmung auf.
    »Komm«, er hob sein Glas. »Auf deinen Sieg!«
    Ljoscha trank den Kognak in drei langsamen Schlucken und sah Viktor dabei aufmerksam in die Augen.
    »Du hast versprochen, daß du mir irgendeine Arbeit besorgst«, sagte er.
    [473] »Ich habe sie fast gefunden«, antwortete Viktor. »Morgen oder übermorgen entscheidet es sich, dann erfährst du es.«
    93
    Morgens rief unerwartet Igor Lwowitsch an, lobte den Artikel, erbat Viktors Meinung zu der ganzen Zeitung und war gekränkt, als er erfuhr, daß Viktor in der Erstausgabe des ›Ukraine-Kuriers‹ außer seinem eigenen Artikel nichts gelesen hatte.
    »Schau sie dir unbedingt an!« bat der Ex-Chef. »Deine Meinung ist mir wichtig! Ja, siehst du, unsere Wege kreuzen sich ganz von allein wieder…«
    Um der Enge am Küchentisch zu entgehen, beschloß Viktor, als erster zu frühstücken. Nina war noch im Bad unter der Dusche. Ljoscha hatte sich von seinen zwei Sesseln in den Rollstuhl gehievt, war zur Balkontür gefahren und sah hinaus in den jenseits der Wohnungsfenster immer noch herrschenden Winter. Bei Ljoschas Anblick hatte Mischa seinen gesetzmäßigen Platz, den kältesten in der Wohnung, geräumt, als hätte er Ljoschas Wunsch erraten. Er hatte Ljoscha nachdenklich angesehen und war in die Küche getrippelt. Sonja drehte sich im Schlafzimmer vor dem Spiegel, sie hatte sich mit einem Pinselchen aus Ninas Schminkkästchen sorgfältig die Brauen nachgestrichelt.
    Zwei Eier waren schnell gebraten. Viktor schnitt sich eine Scheibe Brot ab und wollte sich schon setzen, da bemerkte er Mischa, der ruhig zum Herd gelaufen war und [474] sich vor seinen Hocker gestellt hatte. Das Schälchen auf dem Hocker war leer, und der Pinguin sah Viktor fragend an. Der Blick wurde mit dem letzten Stück Seelachs aus dem Kühlschrank beantwortet.
    Viktor hatte sein Rührei schon aufgegessen, als Sonja in die Küche kam, im Jeansträgerrock und weißen Strumpfhosen. Sie schaute hinter sich und horchte auf das Wasserrauschen aus dem Bad. Dann winkte sie Viktor zu sich herunter und flüsterte ihm ins Ohr: »Alles in Ordnung! Gestern haben sie sich ganz fürchterlich gestritten! Sich sogar angeschrieen!«
    »Wer – sie?«
    »Tante Nina und Onkel Ljoscha… Jetzt kannst du beruhigt sein!«
    Viktor mußte lachen. Sonja sah ihn gekränkt an und verstand nicht, was es da zu lachen gab.
    »Du verstehst noch nichts davon!« sagte Viktor und hörte auf zu lachen. »Und wer von beiden hat mehr geschrieen?«
    Sonja dachte nach.
    »Zuerst Tante Nina, dann Onkel Ljoscha, dann wieder Tante Nina, dann… sie haben gleich viel geschrieen…«
    »Dann ist bei ihnen alles in Ordnung«, nickte Viktor.
    Wieder erschien ein gekränkter Ausdruck auf Sonjas Gesichtchen. Sie blies die Backen auf und starrte Viktor fast böse an.
    »Weißt du«, sagte Viktor versöhnlich. »Wenn ein Onkel und eine Tante sich streiten, heißt das, sie sind Freunde oder sie lieben sich, nur wenn sie gar nicht miteinander reden, dann ist das Gegenteil der Fall…«
    [475] »Also mögen sie sich immer noch?« Sonja war nicht zufrieden.
    Viktor zuckte die Achseln.
    »Und was ist mit dir?« fragte das Mädchen und breitete ratlos die Arme aus.
    »Aber du magst mich doch?« fragte Viktor.
    »Ja, unbedingt!« rief Sonja. »Du bist doch mein Onkel und Papa…«
    Viktor streichelte Sonja über die zarten Locken.
    »Alles in Ordnung«, beruhigte er sie. »Bei uns ist alles in Ordnung. Morgen oder übermorgen können wir beide in ein Café gehen und über alles wie Erwachsene reden… Wenn du willst.«
    »Ja«, antwortete Sonja und drehte sich nach dem Pantoffelschlurfen um, das hinter ihr erklang.
    Nina kam in Viktors Morgenmantel in die Küche. Um ihre nassen Haare hatte sie einen Handtuchturban gewickelt.
    »Gehst du fort?« fragte sie, als sie den leeren Teller vor Viktor sah.
    »Ja, ich muß heute zur Arbeit…«
    »Man muß den Klempner holen, das Rohr unter der Badewanne tropft.«
    »Gib Ljoscha die Nummer der Hausverwaltung, soll er sie anrufen!«
    Nina nickte

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