Pinguine frieren nicht
Vereins werde ich. Aber zuerst brauchen wir für die Mannschaft einen Namen und eine kurze Beschreibung ihrer Ziele.«
Viktor nickte.
»Was nickst du? Los, schlag was vor!«
»Man könnte es ›Invalidensportklub Afghanistan‹ nennen.«
»Was Aktuelleres wäre besser.« Der Chef überlegte. »Vielleicht ›Klub der Invaliden der Kriegshandlungen in Tschetschenien‹…«
»Aber das stimmt ja nicht. Und Tschetschenien ist in Rußland…«
»Stimmt etwa ›Afghanistan‹? Gibt es dort einen einzigen Afghanistanveteranen?«
»Eher nicht.« Viktor zuckte die Achseln. »Es klingt aber irgendwie verständlicher, vertrauter. Und ›Tschetschenien‹… Nein, das geht nicht…«
Sergej Pawlowitsch seufzte. Er trank einen Schluck Kognak, dann Kaffee.
»Hast du denn schon eine Mannschaft?«
»Einen Kapitän gibt es, und die Mannschaft zusammenzustellen wird nicht schwer. Man müßte ihnen nur ein Gehalt festsetzen, als Anreiz…«
»Na, dann setz mal fest!«
»Hundert Dollar für jeden«, schlug Viktor vor. »Und hundertfünfzig für den Kapitän.«
»Wieso schätzt du sie so billig ein?« wunderte sich der Chef. »Nehmen wir doch wenigstens zweihundert pro Kopf, für den Kapitän dreihundert, und für den [480] Trainer…« Der Chef sah Viktor direkt in die Augen. »Der Trainer schuldet mir sowieso einiges… Mit dem Trainer rechnen wir später ab! Also los, morgen will ich eine Mannschaftsaufstellung haben. Dann kümmere ich mich um die Papiere, die Registrierung als Sportklub, und dann sind wir ›offiziell‹. Für die künftigen Wettkämpfe!«
95
Viktor war schon lange nicht mehr so beschäftigt gewesen wie an diesem Abend. Zuerst fuhr er per Anhalter nach Hause – Pascha hatte zu tun, deshalb stellte Sergej Pawlowitsch ihm keinen Wagen zur Verfügung. Zu Hause redete er mit Ljoscha. Der strahlte geradezu und streckte den Brustkorb heraus, als er hörte, daß er Kapitän einer Sportmannschaft werden sollte. Sie besprachen alle möglichen Details, und danach half Viktor Ljoscha hinunter auf die Straße. Sie hielten wieder einen Wagen an, packten den Rollstuhl in den Kofferraum und fuhren nach Tatarka, ins Café ›Afghanistan‹.
Viktor ließ Ljoscha zuerst allein ins Café, und sie verabredeten, daß Viktor in einer halben Stunde kommen sollte. Bis dahin sollte Ljoscha mit den Jungs reden und vielleicht schon genügend Männer finden, die Sportler werden wollten. Invalide waren sie ja alle schon.
Der dunkle Winterabend war ruhig und still. Es schneite nicht, dafür knirschte der alte Schnee unter den Füßen. Viktor lief die Nagornaja-Straße viermal gemächlich hinauf und hinunter und sah hin und wieder auf die [481] Uhr. Schließlich betrat er über die flache Rampe das Café ›Afghanistan‹ und erblickte Ljoscha in der Gesellschaft von sechs Rollstuhlfahrern, die bei einer Flasche Kognak um zwei aneinandergeschobene runde Tische saßen.
»Setz dich zu uns!« rief Ljoscha ihm entgegen. An seinem Gesicht konnte Viktor ablesen, daß alles in Ordnung war.
Er ging in die Kammer hinter der Bar, nahm sich einen Gästerollstuhl, klappte ihn auseinander und gesellte sich zu der Runde.
»Das ist Witja, von dem ich gesprochen habe«, sagte Ljoscha. Sechs Augenpaare fixierten Viktor, als erwarteten sie ein Wunder.
Viktor nickte.
»Die Jungs sind einverstanden«, erklärte Ljoscha. »Wir müssen nur noch ein paar Kleinigkeiten klären.«
Man schenkte Viktor Kognak ein. Um sich aufzuwärmen, trank er ein wenig und demonstrierte wortlos seine Bereitschaft, alle Fragen zu beantworten. Die Fragen erwiesen sich als unkompliziert, er mußte nicht mal nachdenken. »Wird alles bezahlt? Behalten wir unsere Plätze im Wohnheim? Hat das auch keinen Einfluß auf unsere Invalidenrente?« Auf einige Fragen wußte Viktor zwar keine konkrete Antwort, aber er bestätigte trotzdem alles Positive und räumte alle möglichen Zweifel aus.
»Gibt es einheitliche Trikots?« fragte einer der Jungs, einbeinig, mit Igelfrisur.
Viktor nickte.
»Und von welcher Firma?« wollte ein anderer wissen.
»Das weiß ich noch nicht. Aber von einer guten«, [482] antwortete Viktor, und im gleichen Moment leuchtete vor seinem geistigen Auge die Adidas-Reklame auf, die so unerschütterlich vom Turm des Gewerkschaftshauses flimmerte.
Am Ende erstellte Ljoscha eine Liste der künftigen Sportler, auf der zwar einschließlich Ljoschas sieben Namen standen, aber das minderte Viktors Glück nicht. ›Und wenn es schon einer mehr ist?‹ dachte
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