Pinguine frieren nicht
überweisen. Auch das war schon getan. Nur Igor Lwowitsch war fürs erste nicht mehr aufgetaucht, aber das stimmte Viktor nur froh. Das Verschwinden der Schreibmaschine fiel zu Hause niemandem auf, und Viktor stellte sich manchmal vor, mitsamt der Maschine wäre auch sein Ex-Chef Igor Lwowitsch aus seinem Leben geflogen. Der Gedanke gefiel ihm, man könnte sich, indem man sich eines Gegenstandes entledigte, auch des Menschen entledigen, der irgendwie mit dem Gegenstand zusammenhing. Das hatte etwas Märchenhaftes. Natürlich nur, wenn man ein guter Märchenheld war.
Viktor ging noch ein paarmal im Internetcafé ›Cyber‹ vorbei und tauschte E-Mails mit Mladen. Der machte sich Sorgen, ob man Viktor beim Zoll nicht das Reisegeld abnehmen werde. Viktor beunruhigte der Gedanke auch, allerdings vor einem anderen Hintergrund. Das Geld selbst fehlte noch. Da war der Goldbarren, den man irgendwie am Zoll vorbeischaffen mußte. Und da gab es die Kreditkarte des toten Bankiers, mit der man in Kroatien Dollars in bar ziehen konnte. Nur wieviel Geld hinter dieser Karte steckte, wußte Viktor nicht. Zum Glück erklärte sich Sergej Pawlowitsch bereit zu helfen, als er von dem Problem erfuhr. Beziehungen zu Bankierskreisen waren vorhanden, und so überreichte Sergej Pawlowitsch Viktor [495] schon einen Tag, nachdem der ihm die Kreditkarte und einen Zettel mit dem Pincode gegeben hatte, einen Kontoauszug des verstorbenen Bankiers. Hinter der Karte standen noch runde siebenundzwanzigtausend Grüne.
»Wie ich sehe, bist du auch nicht gerade arm«, bemerkte Sergej Pawlowitsch zu Viktor, als er ihm die Karte zurückgab. »Und ich habe deinen Pinguin freigekauft!«
»Ich kann es gleich zurückzahlen«, erklärte Viktor schnell, von der Summe beflügelt.
»Schon gut, du arbeitest es ab!« winkte der Chef ab.
Und Viktor arbeitete es ab, indem er tagelang bei der Mannschaft saß und zusah, wie die Jungs trainierten.
Nach ein paar Tagen meldete sich Sergej Pawlowitsch wieder und kündigte ein Kamerateam vom Ersten Nationalen Fernsehkanal an, das eine Reportage über die Wettkampfvorbereitungen drehen sollte. Nach diesem Anruf fiel Viktor auf, daß seine Sportler ein wenig wild aussahen. Alle waren sie bärtig oder auch nur einfach unrasiert und ungekämmt, mit Ausnahme des Igelköpfigen. Da mußte Viktor sich etwas einfallen lassen. Er fand einen Friseur, der vor Ort kam. Danach holte er mit der Kreditkarte fünfhundert Griwni vom Bankomaten, um diesen Friseur aus eigener Tasche zu bezahlen. Die Schur und Rasur der Mannschaft nahm etwa vier Stunden in Anspruch. Der Friseur gab sich Mühe und hatte es nicht eilig. Er war im eigenen Mazda vor dem Café vorgefahren und hatte damit gleich die Achtung der Invalidensportler errungen. Nur mit Ljoscha mußte man sich abmühen. Er wollte seinen Bart um keinen Preis abrasieren. Erst nachdem Viktor ihm ein Ultimatum gestellt hatte – entweder der Bart [496] oder der Mannschaftskapitänsposten –, ergab er sich endlich. Und sah zehn Minuten später aus wie ein kantiger amerikanischer Superman.
Den größten Eindruck machten seine rasierten Wangenknochen am selben Abend auf Nina. Sie strich ihm zärtlich übers Gesicht, wie um die Glätte seiner Haut zu prüfen, und lächelte.
Viktor bemerkte dieses Lächeln. Ein merkwürdiges, etwas nachdenkliches Lächeln, das Nina schöner und klüger machte, als sie in Viktors Augen tatsächlich war.
Abends, als Sonja und Nina schlafen gegangen waren, bat Viktor Ljoscha, noch in der Küche zu bleiben, und eröffnete ihm seinen Plan. Er sagte ihm, daß er von Split nicht wieder mit zurück nach Kiew kommen wolle und nicht wisse, wann er je wieder kommen werde.
Ljoscha hörte zu und nickte. Er war besorgt, aber ihn beschäftigten eher die praktischen Probleme, die Viktors Plan mit sich brachte.
»Dann muß ich also zurück ins Wohnheim?« fragte er beunruhigt.
Viktor zuckte die Achseln.
»Nicht unbedingt. Nur, wer hilft dir hier dann die Treppen hoch und runter?«
Ljoscha nickte nachdenklich.
»Vielleicht Nina?« überlegte er laut.
»Rede mit ihr! Und dann habe ich noch eine Bitte an dich. Es muß noch etwas am Flughafen durch den Zoll… Vielleicht mit deinen Sachen, ich weiß noch nicht recht…«
»Ist gut«, stimmte Ljoscha bereitwillig zu. »Wenn es nur keinen Ärger gibt!«
[497] »Vor Ärger sollte uns das hier bewahren.« Viktor zückte seinen Abgeordnetenberaterausweis.
99
Nachts im Traum verfolgte Viktor ein schönes, schlankes,
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