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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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zuzuhören.
    »Mischa und ich fahren weg. Ich wollte dich bitten, als Älteste zu Hause zu bleiben…«
    »Wie kann ich das denn? Tante Nina und Onkel Ljoscha sind doch älter als ich!«
    »Das ist nur das Alter in Jahren, ich meine jetzt aber etwas anderes… Tu nur weiter so, als wärst du noch klein, du darfst auch manchmal launisch sein und Dinge haben wollen. Aber achte darauf, daß alles in Ordnung ist. Und achte darauf, daß sie sich nicht zerstreiten.«
    »Sie streiten gar nicht mehr«, erklärte Sonja. »Sie trinken jetzt zweimal am Tag Kaffee in der Küche und reden. Sie haben mich sogar schon mal rausgeschickt… Aber ich habe vor der Tür alles gehört!«
    »Und was hast du gehört?« fragte Viktor, was ihm sofort peinlich war. »Nein«, stoppte er Sonja, die schon für ihren Bericht tief Luft geholt hatte. »Nicht! Man soll nicht lauschen…«
    Auf Sonjas Gesichtchen malte sich Enttäuschung.
    »Ohne Lauschen erfährt man aber nie was!« sagte sie.
    »Doch! Man muß nur lernen, direkte Fragen zu stellen! [501] Also, ich lasse dich als ›Älteste‹ da. Ich rufe dich an, und dann erzählst du mir, wie es euch geht. Und du bittest sie öfter, mit dir ins Puppentheater oder ins Kinderkino zu gehen. Ihr alle drei zusammen. Und dort sollen sie dir dann Eis kaufen.«
    Der letzte Gedanke gefiel Sonja, und sie nickte eifrig. »Und wann kommst du wieder?« fragte sie, als sie ihre Coca-Cola ausgetrunken hatte.
    »Ich weiß nicht, nicht so bald. Aber ich werde anrufen…«
    »Aber ruf oft an!« bat Sonja.
    100
    Zum Flughafen nach Borispol fuhren sie im Spezialautobus mit der Aufschrift ›Dem Tschernobyl-Fonds geschenkt von Japan‹. Voraus fuhr ein schwarzer Geländewagen, denn Sergej Pawlowitsch hatte beschlossen, die Armwrestling-Mannschaft ›Afghanistan‹ persönlich zum Flug zu ihrem ersten internationalen Wettkampf zu begleiten. Der Bus war hervorragend ausgestattet. Die hintere Tür ging auf, und zum Erdboden senkte sich ein Hydrolift, auf den die Invalidensportler einzeln in ihren Rollstühlen fuhren. Der Lift hob sich, und man konnte direkt ins Businnere rollen und den Rollstuhl mit Hilfe eines speziellen Metallbügels fixieren, der sich fest auf das Rad herabsenkte. Die vordere Hälfte des Busses war für Gesunde vorgesehen. Ein gutes Dutzend fröhlich roter Sitze mit weichen Armlehnen und in der Lehne des [502] Vordersitzes angebrachten Klapptischchen erfreuten das Auge und ließen eher an ein Flugzeug denken als an einen Bus.
    Die Jungs rollten in ihren Adidas-Trainingsanzügen und einheitlichen kurzen Felljacken ins Innere, wo der Fahrer, ein älterer Mann in Jeans und Alaskajacke mit zurückgeschlagener Kapuze jedem einzelnen half, seinen Rollstuhl zu fixieren. Dann überprüfte er noch mal alles und kehrte erst danach auf seinen Platz zurück und ließ den Motor an. Viktor und Issajew, Sonderkorrespondent des ›Ukraine-Kuriers‹, verfrachteten die Taschen der Sportler in den Bus. Darunter war auch Ljoschas Tasche mit dem schon tausend Kilometer gereisten goldenen Barren. Viktor versuchte, nicht an ihn zu denken, nicht an die Zollkontrolle und daran, was passieren würde, wenn man diesen Klumpen entdeckte. Er dachte mehr an Mischa-Pinguin, der auf dem ersten Fensterplatz hinter dem Fahrer saß. Neben ihm auf dem Boden lag eine Plastikreisetasche mit Luftlöchern und Griff, aber sie war für Mischa ein wenig zu klein. Viktor hatte sie für alle Fälle gekauft. Er ging davon aus, daß er sie nicht benutzen mußte, aber sie konnte vielleicht als Argument und Beweis dafür dienen, daß er die Regeln für Tiertransporte in Flugzeugen ernsthaft studiert hatte.
    Am Flughafen bog der Bus rechts ab, fuhr an einem geöffneten Schlagbaum durch und hielt vor dem hinter verschneiten Bäumen verborgenen VIP -Terminal. Sergej Pawlowitsch übergab alle Reisepässe einer gepflegten jungen Brünetten in Grenzbeamtenuniform. Sie entfernte sich lächelnd. An ihrer Stelle erschien ein junger Steward, der sie alle, Sergej Pawlowitsch eingeschlossen, in einen [503] gemütlichen Saal mit Tischen und Sesseln führte. Zwei junge Frauen boten den VIP -Passagieren Tee, Kaffee und Wein an, und Viktor bemerkte, daß ein paar der Jungs zu Ljoscha hinüberblickten, wie um ihre Wünsche an der möglichen Reaktion ihres Kapitäns auszurichten. Nur Viktor bestellte sich einen Gin-Tonic, und Sergej Pawlowitsch entschied sich für einen Whisky. Die übrigen beschränkten sich, wie es sich für Sportler gehört, auf Säfte und Tee.

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