Pinguine frieren nicht
gehörten zur Truppe noch drei weitere PR -Berater: ein Computerfachmann namens Slawa und zwei wendige Brüder, die Zwillinge Sergej und Wowa. Die Zwillinge waren die jüngsten im Team und sahen nicht älter aus als zwanzig oder zweiundzwanzig. Schora, der Chef, war etwa dreißig. Der Computermann Slawa glich dem typischen Klassenstreber, ein bißchen vertrocknet und krummer geworden, und blickte durch seine Brillengläser mit übermüdeten Augen in die Welt. Er ließ wohl in den nächsten ein, zwei Jahren die Vierziger hinter sich.
Sergej Pawlowitsch führte Schora durchs Haus. Schora blickte aufmerksam in alle Ecken, auf der Suche nach einem Platz, wo seine Leute ihr Hauptquartier aufschlagen konnten.
»Haben Sie überhaupt keinen Computer?« fragte er am Ende der Hausbesichtigung erstaunt.
»Wozu brauche ich einen Computer?« Der Hausherr lächelte den PR -Berater zufrieden an. »Computerspiele mag ich nicht, ich spiele nur in echt.«
»Und wo bewahren Sie Ihre Informationen auf?«
Sergej Pawlowitsch tippte sich ein paarmal mit dem Zeigefinger der rechten Hand an den Kopf. »Na, hier.«
Schora nickte betreten.
Sie berieten etwa fünf Minuten über die Zimmerwahl, dann schleppte die Truppe ihre Taschen und den Computer hoch in das ehemalige Kinderzimmer im ersten Stock.
Inzwischen war Viktor hinuntergestiegen, und der Hausherr stellte ihn den PR -Beratern als seinen Assistenten vor.
Schora begegnete Viktor gleich mit Achtung und [94] Interesse. Er drückte ihm fest die Hand und stellte seine Jungs vor. Sie frühstückten gemeinsam im Salon, mit Käse, Wurst, frischen Brötchen und Kaffee. Der Hausherr saß etwa fünf Minuten mit allen am Tisch, blickte nachdenklich auf die Gesichter der kauenden PR -Berater, dann trank er seinen Kaffee aus und ging hinaus.
Nach dem Frühstück wollte Schora eine rauchen und winkte Viktor mit sich nach draußen in den Hof. Dort zog er ein Päckchen Gauloises heraus und steckte sich eine Zigarette an. »Hör mal, bist du schon lange hier?« fragte er.
»Nicht besonders«, antwortete Viktor.
»Aber du hast schon den Durchblick?«
»Mhm.«
»Na, und wie ist der Chef so?«
»Normal.«
»Nicht geizig?« setzte Schora zwischen zwei Zügen an der Zigarette sein Verhör fort.
»Eigentlich nicht…«
»Das ist gut. Ich mag die Geizigen nicht… Und wieviel zahlt er dir?«
»Ausreichend…«
Auf Schoras Gesicht erschienen Anzeichen von Ermattung. Er musterte Viktor aus zusammengekniffenen Augen.
»Du brauchst keine Angst zu haben, wir stehen doch an derselben Front. Damit ich erfolgreich arbeiten kann, muß ich bloß wissen… Verstehst du, jeder Auftraggeber hat so seine Macken, die Felsen unter der Oberfläche sehen verschieden aus… Also warne mich lieber…«
»Er ist ganz normal…«
[95] »Und seine Konkurrenten? Ernst zu nehmen?«
»Was weiß ich.« Viktor zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich…«
»Ohne Krieg?«
»Was heißt das?«
Schora ließ den Stummel seiner Gauloise fallen, zertrat ihn mit der quadratischen Spitze seiner modischen Schuhe und quetschte ihn mit ganz unnötiger Kraft in den Kies; dabei erschien auf seinem Gesicht für einen Augenblick ein harter Ausdruck, die dünnen Lippen verzerrten sich. Aber gleich darauf brachte er seine Gesichtszüge wieder ›in Ausgangslage‹. Er hob den auf einmal gleichgültig gewordenen Blick zu Viktor.
»Was das heißt? Das heißt: Hat es schon Opfer gegeben, oder noch nicht?«
»Es gab einen Zwischenfall bei der Jagd«, antwortete Viktor ruhig. »Vor ein paar Tagen.«
»Und wen haben sie umgebracht?«
»Seinen Schwiegersohn.«
»Aha…« Schora dachte nach. »Laß mich solche Sachen wissen, es soll nicht umsonst sein!«
»Gut«, versprach Viktor.
Die Unterhaltung mit Schora hinterließ bei Viktor ein leicht unangenehmes Gefühl. Das Wort ›Krieg‹ hatte in ihrem Gespräch gar so alltäglich geklungen. Genauso alltäglich war Viktor der ›Zwischenfall bei der Jagd‹ über die Lippen gekommen. Er stand vor der Haustür und überlegte, daß er sich jetzt tatsächlich an der Front befand. Denn unter den heutigen Bedingungen war jede Wahl ein Krieg von zwei oder mehr Armeen. In diesen Kämpfen vor [96] der Wahl wurde kein Gebiet erobert, es wurden nur die Feinde – die Konkurrenten – erschossen. Wie im großen Geschäft. Deshalb gab es keine echte Frontlinie, oder genauer, sie war überall, wo sich zufällig oder auch absichtlich einer der an den Vorwahl-Kriegshandlungen Beteiligten
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