Pinguine frieren nicht
Schuldgefühl auf, Sonja tat ihm leid, und er war wütend auf Nina. Nicht deshalb, weil in seiner Wohnung auf einmal dieser Onkel Kolja aus Odessa aufgetaucht war. Er war wütend, weil sogar die kleine Sonja wußte, warum und zu welchem Zweck Nina damals zu ihnen gekommen war, während Nina das [90] offenbar längst vergessen hatte. Aber was konnte er tun? Heimgehen, Nina mitsamt dem Onkel aus dem Haus jagen und sich mit Sonja zu zweit dort einrichten? Das ging zur Zeit einfach nicht. Lieber sollte Sonja fürs erste bei Leuten wohnen bleiben, die sich wenigstens irgendwie um sie kümmerten, als allein in der Wohnung sein. Und wie sollte er Nina und ihren Verehrer so einfach rauswerfen? Nein, dachte Viktor, eigentlich konnte man sie doch tatsächlich rauswerfen. Schließlich war es seine Wohnung. Aber…
»Aber schimpf doch mal mit ihr!« unterbrach Sonja Viktors Grübeleien. »Stell sie in die Ecke, und wirf Onkel Kolja raus! Sie selber wirft ihn nicht raus, sie hat Angst vor ihm…«
»Wieso das? Sie hat ihm doch den Koffer vor die Tür gestellt?«
»Ja«, nickte Sonja. »Und dann hat er sie angebrüllt, und sie hat den Koffer wieder ins Zimmer gebracht!«
»Was, er brüllt sie an?«
»Er brüllt, und er hat sie auch auf den Po gehauen! Fest. Sie hat sogar geweint!«
Viktor hörte auf zu rudern, ließ die Ruder ins Wasser sinken und sah Sonja aufmerksam in die Augen. »Und dir tun sie nichts?«
»Nein. Sie lassen mich in Ruhe. Nur wenn sie nachts streiten, dann wache ich auf. Und manchmal lassen sie mir kein Essen da…«
»Mit denen werde ich reden!« versprach Viktor bitterernst, und in seiner Stimme lag eine echte Drohung.
Sonja lächelte zufrieden. Sie fühlte, daß Onkel Witja sein Versprechen halten würde.
[91] 14
Um Mitternacht kam Sergej Pawlowitsch nach Hause und ließ Viktor sofort zu sich rufen.
Viktor war bestens vorbereitet für die nächste ›Sitzung‹. Er war zornig und entschlossen nach Golossejewo zurückgekehrt, und um seine Wut auf Nina und diesen dubiosen Milizionär-Wächter-Onkel irgendwie loszuwerden, hatte er sich sofort an die Arbeit gemacht. Auf sechs weißen Papierseiten hatte er so eine Wahlpropaganda entworfen, daß er sich beim Durchlesen selbst wunderte und beinahe auf der Stelle bereit gewesen wäre, für diesen Kandidaten zu stimmen, dessen Wahlversprechen und Pläne er sich selbst eben erst ausgedacht und in Sätze gepackt hatte.
Sergej Pawlowitsch wirkte bedrückt und nahm die vollgeschriebenen Blätter lustlos entgegen. Die ersten Zeilen überflog er, dann vertiefte er sich in das Geschriebene. Auf seinem Gesicht erschien ein konzentrierter Ausdruck, und er las den Text schweigend zu Ende. Darauf entspannte er sich, seufzte erleichtert und sah Viktor an.
»Gut gemacht!« nickte er und kaute nachdenklich an seinen Lippen. Dann fuhr er fort: »Die PR -Berater kommen morgen früh, dann geht die Arbeit richtig los. Morgen früh mußt du zur Stelle sein!«
Viktor nickte und spürte im gleichen Moment einen komischen, gespielt besorgten Blick des Hausherrn. »Hast du heute irgendwas?«
Viktor verzog das Gesicht. Dann erzählte er leicht und ungezwungen in wenigen Worten von Nina und von der ganzen Sache mit seiner Wohnung.
[92] »Tja, mein Freund!« sagte Sergej Pawlowitsch nur, als er zugehört hatte. Und schwieg. »Siehst du, du hast gleich in mehreren Punkten gegen das Gesetz der Schnecke verstoßen, und hier sind die Folgen! Unkenntnis schützt vor Strafe nicht! Merk dir Punkt drei: Es ist verboten, Fremde, halbe Fremde und halbe Freunde in sein Haus zu lassen. Jetzt sieh dir an, was geschehen ist! Du hast halbe Freunde in dein Haus gelassen, dann kommst du zurück, und es sind Fremde drin! Was bedeutet das?«
Viktor zuckte die Achseln.
»Das bedeutet, daß du dich nicht mit Menschen auskennst oder auch nur nicht genauer hinschauen willst! Wer ist dir von dieser Gesellschaft am nächsten?«
»Sonja.«
»Verstehe. Morgen… Nein, morgen ist zu viel zu tun. Übermorgen bekommst du die Schlüssel zu deiner Wohnung zurück.«
»Und was wird mit Sonja? Soll sie denn dort allein bleiben?«
»Da lassen wir uns etwas einfallen. Du wohnst jedenfalls erst einmal hier.«
15
Die PR -Berater wurden morgens in dem schwarzen Geländewagen gebracht. Sie kamen mit wenig Gepäck, ein paar Sporttaschen und drei Kartons, in denen, nach den Worten des PR -Berater-Chefs Schora, das transportable Gehirn ihrer Truppe steckte: ein hochspezieller [93] Computer. Außer Schora
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