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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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sagte er und drückte auf ›Play‹.
    ›…ich brauche das Negativ, klar? Das reine Negativ…
    [121] – Der hat doch nicht mal einen Computer im Haus… seine Leute sind treu wie Hunde, wo soll man da ansetzen?
    – Treue Hunde sind bloß teurer als untreue… such dir einen aus und bring ihn mit in die Sauna, wir reden mit ihm… Oder sag etwas in der Art: man muß wissen, welches Negativ vom Chef die Konkurrenz benutzen könnte, wie heißt es doch bei Lenin: man muß die Waffe des Feindes kennen… Klar? Ich gebe dir noch zwei Tage, dann… du verstehst schon selbst… – Aber ich… – Schora. Und wenn du den nimmst, der sich nie kämmt, der ist doch der typische Doofsack!…‹
    Hier sahen Pascha und Sergej Pawlowitsch gleichzeitig auf Viktor, und der faßte sich unwillkürlich mit der Hand ans Haar und strich es glatt.
    »Man müßte dir mal einen Kamm schenken«, sagte der Chef.
    ›–…Einen Scheiß wird der uns nützen… der ist bloß saublöd…‹
    »Einen feinen Wortschatz pflegen die Moskauer PR -Berater.« Der Chef seufzte, sah Viktor an, stoppte das Band und nippte an seinem Kaffee.
    »Diese Schweinehunde!« nahm der Leibwächter den Faden auf.
    »Pascha«, sagte Sergej Pawlowitsch mit gespieltem Vorwurf. »Du bist künftiger Abgeordnetenberater, lerne mal, dich kultiviert auszudrücken!«
    »Ich wollte sagen, Schufte!« machte Pascha klar.
    »Dann sag es auch so! Sonst beurteilt man mich noch nach deinem Wortschatz! Eh, Witja?« Sergej Pawlowitsch sah Viktor an.
    [122] Viktor nickte.
    »Das hier hat mich einen Riesen gekostet.« Der Chef nickte in Richtung Kassettenrekorder. »Aber das ist es natürlich wert. Wir sparen nun fünfzig Riesen für die PR -Berater… Pascha, ruf Tolik an, er soll mit seinen Jungs kommen. Organisiere eine Sitzung, daß sie nach ihrem Nachtklub keine Minute schlafen. Bringt sie zum Restpostendepot und macht sie fertig für ein offenes Gespräch gegen zehn Uhr. Witja und ich kümmern uns mal weiter um die Öffentlichkeitsarbeit… Ja! Und siebe ihre Sachen. Und suche für morgen einen zuverlässigen Computermann. Das wär’s.«
    Der Chef spülte die letzten zwei Schluck Kaffee hinunter und erhob sich entschlossen.
    Pascha wusch sich direkt in der Küche mit kaltem Wasser und trocknete sich mit einem dünnen Geschirrtuch ab. Ein paar Minuten später fuhr der Geländewagen davon, und es trat wieder Stille ein.
    19
    Viktor schlief lange, er war ja auch erst gegen acht Uhr morgens ins Bett gekommen. Zuerst schlief er schlecht, er hatte sogar Kopfschmerzen. Vielleicht träumte er die Kopfschmerzen aber auch nur. Doch gegen Mittag träumte er vom Winter, vom Eis des Dnjepr und einem Eisloch mit Spuren von nackten Füßen. Er sah auch sich selbst, allein, einsam und verschreckt. Er lief um das Eisloch herum und wartete, und er wartete nicht nur darauf, daß der Pinguin [123] Mischa wieder aus dem Eiswasser des Dnjepr auftauchen würde, sondern auch auf Sergej, der ebenfalls aus diesem Eisloch auftauchen sollte. Als wenn er sich gemeinsam mit dem Pinguin in das dunkle, wallende Gemisch aus Eis und Wasser gestürzt hätte. Aber niemand tauchte in dem Eisloch auf, und nirgends gab es einen einzigen Angler. Nur die dunklen Punkte der frisch vom Eis überzogenen Löcher.
    Er wachte zerschlagen auf, wunderte sich über die Stille im Haus und erinnerte sich daran, daß er versprochen hatte, Sonja und Nina anzurufen. Er hatte es nicht getan. Er sah auf die Uhr – es war Zeit zum Mittagessen.
    In der Küche war auch niemand. Vielleicht noch unter dem Einfluß seines Traumes öffnete Viktor als erstes den Gefrierschrank und starrte wie ein hungriger Pinguin auf den gefrorenen Fisch. So stand er da einfach etwa eine halbe Minute. Dann klappte er den Gefrierschrank, nahm Wurst, Käse und Butter aus dem Kühlschrank und setzte Teewasser auf. Nach Kaffee war ihm nicht zumute.
    Er ging in den Salon hinüber und erblickte sofort auf dem Tisch das neue Plakat mit dem Konterfei des Konkurrenten und einen einzelnen breiten Papierstreifen mit der leuchtenden Aufschrift: ›Wir verschönern nicht nur das Gesicht! Kosmetik von Graziola‹
    Viktor lächelte. Er fühlte sich erfrischt und munter, er freute sich über den Anblick, denn schließlich hatte seine Idee sich hier materialisiert, und man sah, daß es eine hervorragende Idee gewesen war.
    ›Also doch kein Narr!‹ sagte Viktor im stillen zu sich, während er sich in das reale Gesicht des Wahlkandidaten vertiefte.
    [124] Beim Essen

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