Pinguine frieren nicht
Frau?«
»Ich schwöre!« zischte Viktor, der es nicht mehr aushielt, in einem aggressiven Flüsterton, als ob er Angst hätte, man könnte ihn hören. »Gar nichts hat er sonst noch mitgegeben!«
»Schuft«, sagte Marina leise.
Verwirrt starrte Viktor sie an. Wer war der ›Schuft‹? Etwa er, Viktor?… Nein, die Frau wußte nicht mehr, was sie sagte! Wieder wäre er gern gegangen. Sein Bronikowski gegebenes Versprechen hatte er erfüllt. Warum sollte er auch noch diese Bürde tragen und hier sitzen und seiner Witwe helfen, sich in den Alkoholismus zu flüchten?
[185] »Ich gehe jetzt«, sagte Viktor leise und hob den Blick zu Marina. Er erhob sich sogar aus dem Sessel, setzte sich aber gleich wieder hin, als er dem harten und entschlossenen Blick der Koreanerin begegnete.
»Hast du in Moskau einen Platz zum Schlafen?« fragte sie in einem Ton, der sagte: ›Du weißt sowieso nicht, wohin!‹
»Nein«, gestand Viktor.
»Warum willst du dann gehen, es ist schon Abend. Du übernachtest hier, Olja macht dir ein Bett im Zimmer von Stas… Und hat er nie jemanden erwähnt außer mir?«
Viktor war zu müde, um noch mehr Widerstand zu leisten. Er schenkte sich noch einen Kognak, Marina einen Whisky ein, dann sah er sie mit völliger Kapitulation im Blick an. »Er hat nie jemand anderen erwähnt und mir für niemand sonst irgend etwas mitgegeben.«
Zum ersten Mal nickte Marina, was schon ein gutes Zeichen war. Endlich glaubte sie Viktor. Sie hob ihm ihr Whiskyglas entgegen, und sie stießen an.
»Auf unsere Bekanntschaft!« fügte sie hinzu.
Als sie ausgetrunken hatte, nahm sie die Kreditkarte in die Hand und begann, sie zu untersuchen. Sie studierte Bronikowskis Unterschrift auf der Rückseite. Es war eine ziemlich einfache, richtige Bankiersunterschrift, ohne alle Schnörkel und Schlaufen.
Marina erhob sich, trat an den Barwagen und schenkte Viktor Kognak, sich selbst Whisky nach. Aber sie trank nicht gleich. Sie stellte ihr Glas auf den Tisch, ging zum Sekretär dieses Innenarchitektur-Ensembles und öffnete die Klappe, die gleich zu einer Tischplatte wurde. Viktor [186] beobachtete sie neugierig und mißtrauisch. Im Innern des Sekretärs erblickte er jede Menge Schatullen, Papier, Briefe und wandte dann seine Aufmerksamkeit auf Marinas exquisite Figur. ›Ein bißchen breitknochig‹, dachte er.
Marina kam mit einem schweren Kugelschreiber und ein paar Bögen Papier zurück. Sie legte das Papier vor Viktor auf den Tisch, den Kugelschreiber obendrauf und nahm ihr Glas wieder auf.
Sie tranken, und Marina setzte sich in ihren Sessel.
»Üben!« sagte sie zu Viktor und nickte Richtung Kugelschreiber und Papier.
Viktor sah sie fragend an.
Da schob Marina ihm die Kreditkarte hin, mit der Rückseite und der Unterschrift nach oben.
»Die Unterschrift!« soufflierte sie.
Viktor wunderte sich weiter.
»Los, üben!« sagte Marina und holte ungeduldig Luft.
Er nahm den Kuli und versuchte, Bronikowskis Unterschrift zu kopieren. Zuerst kam gar nichts dabei heraus, aber nach den ersten zehn Versuchen wurden sich die beiden Unterschriften immer ähnlicher, und nach zehn Minuten erkannte Viktor zu seinem Erstaunen, daß er in der Lage war, eine einfache Unterschrift zu fälschen. Er hob den Blick zu Marina. Auf ihrem Gesicht erschien ein etwas angespanntes, nachdenkliches Lächeln. Sie nickte.
»Weiter, weiter!« sagte sie.
Viktor schenkte sich noch Kognak ein, trank, griff wieder zu dem Kuli und fühlte den aufmerksamen Blick der Hausherrin auf sich, während er für den Verstorbenen unterschrieb.
[187] »Das reicht«, kommandierte Marina.
Sie erhob sich und leerte ihren Whisky.
»In einer Viertelstunde komme ich wieder, ruh dich inzwischen aus.«
Viktor blieb allein zurück. Er hatte Durst auf Wasser oder Saft. Sorgfältig ging er die soldatisch dicht an dicht aufgestellten Flaschenreihen auf dem Barwagen durch und fand nichts als Hochprozentiges, bis auf einen portugiesischen Portwein und einige Liköre. Aber ihm war einfach nur nach Wasser. Selbst Kompott wäre ihm jetzt lieber gewesen als Whisky oder Kognak. Er ging die Flaschen ein zweites Mal durch und bemerkte eine etwas kleinere. Sie sah ganz unalkoholisch aus, und er zog sie heraus. Wahrhaftig, es war ein Tonic! Froh schraubte Viktor den Deckel ab und leerte die Flasche direkt auf der Stelle.
Dann wanderte er durchs Zimmer. Er schob den Vorhang zur Seite und schaute aus dem Fenster.
Draußen brodelte lautlos der Kutusowprospekt, auf dem die Autos
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