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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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sich daran zu erinnern, wann Sonja Geburtstag hatte.
    Er erkannte auf einmal verwundert, daß er das nie gewußt hatte. Er biß sich auf die Unterlippe und sah Marina etwas schuldbewußt an.
    »Und haben Sie Kinder?« fragte er.
    »Sag nicht ›Sie‹ zu mir«, entgegnete Marina lächelnd. »Ich duze dich ja auch. Nein, ich habe keine Kinder… Vielleicht eines Tages. Wer weiß?«
    Es entspann sich ein ruhiges und einfaches Gespräch. Marina war danach, sich auszusprechen. Viktor wußte schon, daß sie vor ihrer Ehe Marina Zoj geheißen hatte und aus der Ukraine stammte, wo ihre Eltern, sowjetische Koreaner, Melonen anbauten. Die Hochzeit mit Bronikowski fand in Donezk statt, wo sie eine Ausbildung zur Buchhalterin machte und der künftige Moskauer Bankier mit Freunden einen Investmentfonds aufbaute. Im weiteren ging der Fonds pleite, und die ganze Gesellschaft zog nach [194] Moskau, wo sie eine Bank gründete. Die es inzwischen auch nicht mehr gab.
    Marina trank ihren Wein aus und schüttete sich plötzlich ein wenig Wodka in ihr Glas, den sie mit einem Schluck runterkippte. Sie drehte sich um, und der Kellner fing sofort ihren Blick auf und kam mit schnellen, leisen Schritten her. Sie bat um die Rechnung und gab ihm gleich Bronikowskis Kreditkarte.
    Die hochgewachsene Blondine, die Marina zu Anfang ihres Abendessens begrüßt hatte, trat zu ihnen an den Tisch. Sie musterte Viktor mit einem heiteren, betrunkenen Blick. Dann wandte sie sich an Marina.
    »Ich freue mich, daß sich bei dir alles findet«, sagte sie mit einem hintergründigen Lachen. »Wir machen jetzt im ›Metropol‹ weiter… Willst du mit?«
    Marina schüttelte den Kopf.
    »Ruf mich an«, sagte die Blondine zu ihr und sah wieder hinüber zu Viktor, diesmal schon allzu vielsagend. Dabei verzog sie leicht sarkastisch die geschminkten Lippen.
    Der Kellner kam mit einer ledernen Mappe zurück, in der die Rechnung, ein Kuli und die Visacard lagen. Die Mappe legte er vor Viktor auf den Tisch. Viktor klappte sie auf und warf Marina einen Blick zu.
    »Unterschreib«, murmelte sie.
    Viktor sah auf den Beleg. Dort war deutlich der Durchdruck von Bronikowskis Kreditkarte zu sehen. Unten stand die Summe – achtundfünfzigtausenddreihundertzwanzig Rubel. Und noch weiter unten die Zeile für die Unterschrift. Viktor nahm den Kugelschreiber und konnte sich gerade noch davon abhalten, die Kreditkarte [195] umzudrehen und sich die Unterschrift des Bankiers noch mal anzusehen. Er unterschrieb aus dem Gedächtnis, während er mit jeder Faser die Anwesenheit des Kellners in seinem Rücken spürte. Er nahm die Kreditkarte, schloß die Mappe und reichte sie dem Kellner.
    Marina winkte den Kellner zu sich und gab ihm zwanzig Dollar.
    Zurück fuhren sie wieder im Lexus.
    Danach tranken sie im Wohnzimmer einen von Olja gekochten Kaffee. Der Kaffee war stark und mit irgend etwas gewürzt. Und gegen seinen Willen wurde Viktors Körper von diesem Kaffee wieder munter. Marina saß neben ihm in einem Sessel, trank ihren Kaffee und beobachtete ihn aufmerksam, als ob sie auf etwas wartete. Als sie den Kaffee ausgetrunken hatte, kippte sie die Tasse um und stellte sie so kopfüber auf die Untertasse. Dann wandte sie sich wieder Viktor zu. »Hat dir schon mal jemand aus dem Kaffeesatz gelesen?« fragte sie.
    »Nein.«
    »Dann lesen wir jetzt«, sagte sie in singendem Tonfall, hob die Tasse hoch, stellte sie wieder normal hin und sah hinein. »Oh!« Sie klang erfreut. »Du hast ein kleines Geschenk für mich!«
    Viktor sah Marina erstaunt an, dann blickte er in die Tasse, die sie so gedreht hatte, daß er den über die Porzellanwände gelaufenen Kaffeesatz sehen konnte.
    »Schau hierher!« Nun flüsterte Marina.
    Viktor schaute. Auf dem weißen Porzellan erblickte er zwei eindeutige Silhouetten, einen Mann und eine Frau. Sie waren nackt, und alles Weitere hing schon von der [196] Phantasie ab. Allerdings, dachte Viktor, hing schon die Existenz dieser Silhouetten in dieser Tasse von der Phantasie ab. Was man sehen will, sieht man.
    »Das bin ich!« Marina zeigte auf den weiblichen Umriß.
    »Und wer ist das?« Fast berührte Viktor die männliche Figur mit dem Zeigefinger.
    »Dreimal darfst du raten«, flüsterte Marina lächelnd und erhob sich aus dem Sessel. »Bist du immer so komisch?«
    »Wie meinst du das?«
    »Komm.« Sie wies mit dem Blick auf die Tür mit dem roten und blauen Glaseinsatz.
    Hinter der Tür befand sich ein Schlafzimmer. Es gab ein breites, elfenbeinfarbenes

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