Pinguine frieren nicht
sein Anruf ihr nur bestätigt, daß ihr Mann gesund und wohlbehalten war.
Viktor seufzte, als er sich vorstellte, wie sich ihre Stimmung bei der Lektüre des Briefs wandeln würde. Aber es gab kein Zurück, und Viktor hatte es offen gestanden eilig, diesen Brief so schnell wie möglich loszuwerden, damit er an seine Hauptaufgabe gehen konnte: Mischa-Pinguin zu finden und in die Antarktis zu schicken.
Der Concierge hinter der Codetür stoppte Viktor nur mit seinem Blick – ein typischer Sondereinheitler, nur ohne Maschinenpistole. Dafür mit Gummiknüppel, Handschellen und Gasspray am Gürtel. Im Lederhalfter trug er eine Pistole, ob Schreckschußpistole oder echt, war nicht zu erkennen.
»Zu wem wollen Sie?« fragte er streng.
»Wohnung sechsundzwanzig, Frau Bronikowski…«
Der Concierge musterte Viktor mißtrauisch und [179] richtete dann seine Aufmerksamkeit auf die Sporttasche. Viktors Äußeres schien ihm wenig vertrauenerweckend zu sein. Mit den Augen forderte er Viktor auf, ihm den Inhalt der Tasche zu zeigen. Viktor öffnete sie und ließ den Concierge einen prüfenden Blick hineinwerfen.
»Warten Sie!« bat der Mann, verschwand in seinem kleinen Verschlag und griff zum Telefonhörer. Gleich darauf sah er heraus.
»Linker Aufzug, sechster Stock.«
Neben dem Aufzug und auch drinnen hingen ein paar Bekanntmachungen in englischer Sprache. Die größte – NO SMOKING – las Viktor mühelos. Er entzifferte auch noch eine Verkaufsanzeige für einen Landrover. Irgendein Ausländer wollte zehntausend Dollar dafür, der Wagen war aber nicht verzollt.
Im sechsten Stock fand Viktor die Wohnungstür des Bankiers sofort, sie war aus massiver Eiche mit bronzenem Griff und Videosprechanlage. Er ging hin, drückte auf den Knopf und malte sich aus, wie ihn jetzt jenseits der Tür die Hausherrin auf einem kleinen Bildschirm beobachtete.
Die Tür ging auf, und eine Koreanerin ließ Viktor in einen breiten Flur.
›Sie lebt nicht schlecht, wenn sie sich ein ausländisches Dienstmädchen leisten kann‹, dachte Viktor.
An der Garderobe blieb er stehen und zog die Jacke aus. Im ersten Moment wollte er sie der Koreanerin übergeben, damit die sie aufhängte, aber dann war ihm das peinlich. Er hängte die Jacke selbst auf. Dann drehte er sich um. »Wo ist denn Marina?« fragte er mit einem Blick zu der halboffenen Flügeltür, die ins Wohnzimmer führte.
[180] »Marina bin ich.« Die Koreanerin beobachtete ihn mit einem umwerfenden Lächeln. Sie hatte die Situation anscheinend schon ein paarmal erlebt, und sie hatte offenbar gelernt, die Verblüffung unbekannter Besucher zu genießen.
Viktor war furchtbar verlegen. »Verzeihen Sie, ich dachte…«
»Kommen Sie weiter«, sagte die Koreanerin Marina immer noch freundlich lächelnd. »Sie dachten, Ihnen öffnet eine langbeinige Blondine mit rundem Gesicht?«
»So was in der Art«, gestand Viktor.
Das Wohnzimmer war riesig. Die mächtigen, hohen Mahagonimöbel machten diesen Saal überhaupt nicht kleiner. Mitten im Raum stand ein massiver runder Tisch im gleichen Stil, um den sich geometrisch exakt zwölf Stühle verteilten.
»Olja!« rief Marina, und gleich tauchte ein Mädchen in der Tür auf, es war eine langbeinige Blondine mit rundem Gesicht, dunklem Kleid und weißer Schürze – ein typisches Dienstmädchen.
Sie stand aufmerksam fragend da.
»Darf ich Sie Witja nennen?« fragte Marina.
Viktor nickte.
»Was wollen Sie: Kaffee, Tee, heiße Schokolade?«
»Kaffee.«
Marina sah wortlos zu Olja, und die nickte.
Sie setzten sich in zwei Sessel an das große, von einem Vorhang halb verdeckte Fenster.
Viktor zog den Beutel aus der Tasche, nahm den Brief heraus und reichte ihn Marina.
[181] Während sie las, schaute er sich noch mal im Zimmer um und entdeckte einige Fotografien, auf denen sie mit ihrem Mann an Deck einer großen Jacht und irgendwo am Mittelmeer zu sehen war. Verstohlen sah er zu Marina hinüber. Sie lächelte schon nicht mehr. Sie las konzentriert und bewegte dabei kaum merklich die Lippen.
›Und wenn sie plötzlich hysterisch wird?‹ überlegte Viktor beunruhigt.
Eine Weile sah er sich noch die Fotos an der Wand an, dann schielte er wieder zu der Frau hinüber.
Marina hatte den Brief auf das Tischchen gelegt und musterte jetzt das vollgeschriebene Blatt wie mit angehaltenem Atem. Viktor wurde die Stille im Raum immer unbehaglicher. Er nahm die Kreditkarte aus dem Beutel, legte sie auf den Tisch neben den Brief und sah Marina vorsichtig
Weitere Kostenlose Bücher