Pinguine frieren nicht
Ksjuscha, strich sich über die Haare und wurde geschäftig, ohne die Antwort abzuwarten.
Sie stellte den Brotteller auf die Ablage, räumte Teller und Schüsseln vom Tisch, wischte ihn mit einem Lappen ab und setzte den Teekessel auf.
Draußen im Flur erklangen plötzlich Schritte, und Viktor fuhr herum. Ksjuscha ging rasch hinaus.
»Geh schlafen, Mama, alles in Ordnung! Ich habe Besuch!« hörte er ihre Stimme.
Kurz darauf kam sie zurück. Sie seufzte tief.
»Ich mußte meine Mutter zu mir holen… Sie schafft es allein nicht mehr, sie hat Sklerose, die Gelenke tun ihr weh… Sind Sie aus Moskau?«
Viktor erzählte kurz von sich und gestand, ohne auf ihre [203] Fragen zu warten, daß er Stas Bronikowski kaum gekannt hatte.
»Wie schade, er war ein guter Mensch. Nur naiv. Er dachte, mit Geld geht alles. Er hat mir eine Wohnung auf dem Arbat geschenkt, und als ich mich weigerte, dort hinzuziehen, brachte er mich gleich zu einem befreundeten Psychiater.« Ksjuscha lächelte plötzlich, und ihr Blick wanderte zur Wand.
Viktor folgte ihm und erblickte ein Foto von Bronikowski hoch zu Roß.
»Er wollte mir Reiten beibringen«, sagte Ksjuscha traurig. »Und auch da gleich: ›Ich schenke dir einen Araber‹… Alles nur im großen Stil!« Wieder lächelte sie in Erinnerungen versunken. »Als er abreiste, war ich schwanger… Schade, es sollte nicht sein…«
Viktor warf einen Blick auf die zarte, schlanke, kleine Gestalt. Nichts Besonderes, im guten Sinn. Sie sprang einem nicht in die Augen, und vielleicht konnte sie treu sein.
Aus dem Flur drang Gepolter und spielerisches Knurren zu ihnen.
»Und wieso halten Sie sich so einen Hund?« fragte Viktor. »Die sind doch gefährlich.«
»Ich habe ihn von der Straße aufgelesen. Jemand hat ihn ausgesetzt.« Ksjuscha seufzte. »Nein, Bossik ist nicht böse… Haben Sie Kinder?«
»Eine Pflegetochter.« Diesmal kam Viktor die Antwort leicht heraus, und er wunderte sich, daß Marina und Ksjuscha die gleichen Fragen stellten.
»Und wer ist jetzt bei ihr?«
»Ein Kindermädchen.«
[204] »Ich werde vielleicht auch ein Kind adoptieren. Es wird jetzt nicht leicht, nach Stas… Ich dachte… ich dachte, er verläßt sie… Das Geld kommt doch von ihr, oder?«
Viktor antwortete nicht. Erstens wollte er nicht. Zweitens schien Ksjuscha auch gar keine Antwort zu brauchen. Sie ging zum Fenster und sah in die Nacht hinaus, dann schaltete sie das Gas unter dem Teekessel aus.
Viktor wollte sie gern aufmuntern, sagen, daß alles gut würde. Aber er schwieg. Und das war auch richtig. Er dachte daran, daß es keine Frau gab, die besonders trauern würde, wenn ihm etwas zustieß.
Um Ksjuscha abzulenken, erzählte Viktor ihr von Mischa-Pinguin. Er fragte sie, ob sie zufällig etwas über den Privatzoo eines Bankiers mit Spitznamen ›Sphinx‹ wußte. Aber sie bewegte sich eindeutig in anderen Kreisen, genauer noch, sie bewegte sich überhaupt nirgends, und deshalb hatte sie auch nichts von ihm gehört. Sie wunderte sich nur, daß Bankiers Spitznamen hatten wie Gangster und Hunde. An dieser Stelle wanderte ihr Blick hinaus in den Flur, von wo immer noch die Laute munteren Hundetreibens ertönten. Dafür interessierte sie sich aufrichtig für die Geschichte von dem vermißten Pinguin, und besonders beschäftigte sie Sonjas Freundschaft mit dem Pinguin und daß er Sonja fehlte.
Ihre Unterhaltung brach jäh ab, als Ksjuschas Blick wieder auf den Umschlag mit dem Geld fiel. Sie verstummte, und ihr Blick wurde müde.
»Ich hätte nie etwas von ihm genommen… Aber meine Mutter hat Krebs, wir müssen die Medikamente bezahlen. Und wir haben nichts.« Ksjuscha verstummte wieder.
[205] Viktor begriff, daß es Zeit war zu gehen. Er trat hinaus in den Flur und erblickte den Pitbull Bossik mit seinem zerkauten Schuh zwischen den Zähnen.
»Was machst du denn da! Loslassen!« rief Ksjuscha dem Hund zu, lief zu ihm hin und zog ihm den Schuh aus dem Maul.
Bestürzt stellte sie den Schuh vor Viktor auf den Boden und hob den schuldbewußten Blick.
»Verzeihen Sie bitte…«
Nachdem er sich schnell die Schuhe angezogen hatte, wobei er im linken Schuh ein gewisses Unbehagen verspürte, verließ Viktor Ksjuschas Wohnung in völlig niedergeschlagener Stimmung. Im Inneren des Lexus brannte Licht, der Fahrer las ein Buch. Stumm setzte Viktor sich auf den Rücksitz.
Sie fuhren auf die menschenleere Straße hinaus, und der Wagen legte an Tempo zu. Orange blinkende Ampeln flogen an ihnen vorbei.
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