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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Wange und zog ihn wieder auf den Himmelsteppich. Nur hatte Viktor diesmal weniger Kräfte. Allerdings war auch Marina nicht so anspruchsvoll wie in der Nacht davor. Danach lagen sie in einer gewaltigen dreieckigen Badewanne im fast kochendheißen Wasser. Marina studierte interessiert die Spuren ihrer Nägel auf seinen Schultern. Manchmal angelte sie im heißen Wasser nach seinen Beinen und legte sie auf ihre. So ergaben sie sich dem Wohlbehagen, bis es dunkel wurde. Dann aßen sie zu Abend. Nach dem Essen wurde Marinas Gesichtsausdruck viel konzentrierter, als hätte sie sich an etwas Wichtiges erinnert. Sie nahm einen Umschlag und einen Packen Dollarnoten aus dem Sekretär, zählte die Scheine, legte ein paar Hunderter zur Seite und packte die restlichen in den Umschlag.
    »Der Fahrer bringt dich jetzt zu einem Mädchen«, sagte sie. »Sie heißt Ksjuscha. Du sagst ihr, daß dieser Umschlag von Stas kommt. Dann kannst du ihr die ganze [200] Wahrheit erzählen… über ihn, nicht über uns. Sag ihr, daß er tot ist… Und bleib nicht zu lange, der Fahrer wartet auf dich.«
    Viktor starrte Marina verwirrt an.
    »Ich warte auch auf dich«, sagte sie und lächelte.

31
    Trotz der nächtlichen Stunde waren Moskaus Straßen voller Autos. Sie fuhren lange, etwa eine halbe Stunde.
    »Ist es noch weit?« fragte Viktor den Fahrer.
    »Zehn Minuten… Wir müssen ja hinter die Ringlinie!«
    Sie durchquerten ein Villenviertel. Dahinter wurden Hochhaustürme sichtbar. Sie hielten beim ersten.
    »Fünfzehnter Stock, Wohnung hundertsiebenunddreißig«, sagte der Fahrer im Umdrehen.
    Viktor nickte. Diesmal hatte er seine Windjacke an und fühlte sich wohler. In der Jackentasche steckte der Umschlag voller Dollars.
    Die Eingangstür war offen, keine Spur von einem Code-Schloß oder einem Concierge. Im Aufzug leuchtete ein schwächliches Lämpchen hinter einem eisernen Schutzgitter. Der Aufzug, in dem es nach kaltem Rauch roch, kroch mühsam aufwärts, seine Wände zierten die üblichen geritzten und gemalten Obszönitäten. Schließlich hatte er den fünfzehnten Stock erklommen.
    Als Viktor schon an der Tür geklingelt hatte, fragte er sich plötzlich, wie spät es wohl war, und schaute auf seine Armbanduhr: halb zwei.
    [201] »Wer ist da? Ich rufe die Miliz!« erklang eine verschreckte Frauenstimme hinter der Tür.
    »Ich komme von Bronikowski.«
    Die Tür ging auf, und das verschlafene Gesicht einer jungen Frau sah Viktor entgegen. Unter dem flüchtig übergeworfenen Morgenmantel guckte ein Nachthemd hervor. Die Frau stand barfuß auf dem braunen Linoleumboden des Flurs, zu ihren Füßen stand unbeweglich ein weißer Pitbullterrier und beobachtete Viktor aus kleinen Schweinsaugen. Auf einmal schien sie sich zu besinnen und trat zur Seite.
    »Kommen Sie rein!«
    Viktor trat ein und schloß die Tür hinter sich.
    »Kommen Sie in die Küche«, schlug die Frau vor.
    Mit dem Blick auf ihre nackten Füße zog Viktor die Schuhe aus und folgte ihr auf Strümpfen.
    Der Pitbull beobachtete, wie sich die Wohnungstür schloß, wandte sich ab und verschwand träge in einem unbeleuchteten Zimmer.
    Die Küche war klein. Aus dem Hahn tropfte Wasser auf einen Berg schmutziges Geschirr. Auf dem Fensterbrett standen drei Blumentöpfchen mit Aloe. Viktor sah sich um und wunderte sich, wie wenig diese Umgebung zum Alter dieser Frau paßte. Er zog den Umschlag mit den Dollars aus der Jackentasche und reichte ihn der Frau.
    »Stas hat mich gebeten, Ihnen das zu bringen.«
    »Ist ihm etwas passiert?« Ksjuscha, deren Gesicht sich verdüstert hatte, sah Viktor fragend in die Augen.
    ›Wie alt ist sie wohl?‹ überlegte Viktor dabei. ›Nicht mehr als dreißig… vielleicht auch fünfundzwanzig.‹
    [202] »Ist Stas etwas passiert?« wiederholte sie ihre Frage.
    »Ja«, sagte Viktor. »Er ist tot…«
    In Ksjuschas Augen erschienen Tränen.
    »Ist das Geld?« Sie blickte auf den Umschlag in ihrer Hand und sah dann wieder Viktor an.
    Viktor nickte.
    Sie legte den Umschlag auf den hölzernen Brotteller mitten auf dem kleinen quadratischen Küchentisch.
    »Er hätte mir kein Geld geschickt… Ich habe sein Geld nie gebraucht…«
    Viktor sah zu, wie Ksjuscha langsam die Tränen über die Wangen liefen. Ihm kam der Gedanke, daß die Tränen ihr einfaches Gesicht interessanter machten. Und ihr wirres braunes Haar harmonierte mit den nassen Tränenspuren. ›Es gibt Leute, denen steht Trauer gut‹, dachte Viktor.
    »Möchten Sie vielleicht einen Tee?« fragte

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