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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Auf einmal wandte sich der Fahrer halb um und sagte leise: »Sieht aus, als gibt es Ärger.«
    Viktor schrak auf, blickte nach hinten und sah, daß ihnen in einer Entfernung von hundert Metern zwei Geländewagen folgten.
    Vor Viktors Augen überholte plötzlich der erste Wagen den Lexus, bremste und zwang den Fahrer, ebenfalls auf die Bremse zu treten. Der zweite Geländewagen blockierte den Lexus von hinten. Sie hielten.
    Viktor überlegte noch, daß sein Fahrer gar nicht versucht hatte zu entkommen, obwohl sein Wagen den Geländewagen nicht unterlegen war und die Straßen menschenleer.
    [206] Die Tür auf der Fahrerseite wurde von außen geöffnet, und ein kräftiger, nicht besonders großer Kerl in einem blauen Trainingsanzug schaute herein.
    Er sah den Fahrer an, wandte dann den Blick zu Viktor und wieder zurück zum Fahrer.
    »Wir bringen ihn selber«, sagte er. »Keine Aufregung, und reg deine Chefin nicht auf! Steig aus!« kommandierte er Viktor.
    Und Viktor begriff, daß es kein Entrinnen gab und daß ihn hier niemand retten oder verteidigen würde.
    32
    Als Viktor die Augen aufschlug, war es ringsum dunkel. Und nicht bloß dunkel, sondern um ihn war alles wie mit Tusche übermalt. Er versuchte aufzustehen, aber sein Körper gehorchte nicht. Er fühlte sich wie ein gelähmter Seehund und versuchte, sich im Geiste von dem erstarrten, reglosen Körper zu lösen. Sogar den Kopf erfüllte irgendeine Schwere. Er machte den Mund auf und sagte »A!«, nur um zu überprüfen, ob es sich um einen Traum oder die alptraumhafte Wirklichkeit handelte. »A!« kehrte zu seinen Ohren zurück, als er den Mund schon wieder geschlossen hatte. Verwundert brachte Viktor noch einen Laut zustande, den er wieder nicht gleich hörte. Erst nach einer ganzen Weile erreichte dieser Laut seine Ohren. Etwas pikte in Viktors Arm, und er hob den Kopf, um hinzusehen. Erst danach begriff er, daß sein Kopf sich tatsächlich gehoben hatte. Das hieß, es war noch nicht alles verloren. [207] Er mußte nur noch herausfinden, wo er war. Und sich außerdem erinnern, was mit ihm passiert war.
    Als sein Kopf aufs Kissen zurücksank, begriff Viktor, daß er in einem Bett lag. Er erinnerte sich an zwei Kerle in blauen Trainingsanzügen und einen dritten in normaler Kleidung und Pulli. Dieser dritte hatte ihm eine Spritze gegeben, während die ›Sportler‹ ihn festgehalten hatten. Er hatte in die Vene in der Armbeuge gestochen, und genau diese Stelle tat jetzt weh. Es pikte, als wäre etwas in der Vene hängengeblieben. Und irgendwo weit hinten im Kopf, hinter unendlich vielen Schleiern, tönten wie ein fernes Echo die immer gleichen Fragen: »Hast du Bronikowski tot gesehen? Woher hast du seine Kreditkarte? Hast du ihn tot gesehen? Was machst du hier? Hast du Bronikowski tot gesehen?«
    Die Tusche löste sich allmählich von den Wänden eines kleinen Zimmers, das bedeutete, seine Augen wurden wieder lebendig. Viktor konnte schon ein Fenster erkennen. Die Tusche hatte sich jetzt hinter das Fenster verzogen, aber das war nun schon die echte Schwärze von Abend oder Nacht.
    Viktor horchte. Es war still. Er dachte wieder an den letzten Abend. Das ferne Echo im Kopf war verstummt. Außer diesen verschwundenen Stimmen gab es nichts, was etwas Licht in das bringen konnte, was letzte Nacht mit ihm passiert war. Das nannte man in der Computersprache wohl ›Irreparablen Speicherdefekt‹. Sein Kopf dröhnte. Im gleichen Moment hörte er Schritte vor der Tür, die Tür ging auf, und ein viereckiger Lichtstrahl fiel genau auf sein Bett und auf sein Gesicht.
    [208] Viktor kniff die Augen zusammen, hob die Hand und verspürte wieder den scharfen Schmerz an der Einstichstelle.
    »Wie geht’s?« fragte eine vertraute Frauenstimme.
    Langsam nahm Viktor die Hand von den Augen. Vor ihm stand die schlitzäugige Marina in einem bordeauxroten Morgenmantel.
    Automatisch sah Viktor nach ihren Händen und der Farbe ihrer Fingernägel. Aber seine Erwartung wurde enttäuscht, die Nägel waren überhaupt nicht lackiert.
    »Wie bin ich hergekommen?« fragte Viktor und hörte seine eigenen Worte nicht gleich. Wieder wunderte er sich über die merkwürdige Verspätung der Laute.
    »Sie haben dich gebracht«, antwortete Marina, blickte sich um, ging zum Fenster und holte sich von dort einen Stuhl ans Kopfende des Bettes.
    »Was ist mit mir passiert?«
    »Da kann man nur raten… Sie haben wohl ein ernsthaftes Wörtchen mit dir geredet.« Plötzlich fiel Marinas Blick auf das

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