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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Nächte nichts anderes getan hatte, als auf dunklen Pfaden von einem tschetschenischen Punkt A zu einem anderen tschetschenischen Punkt B zu wandern, war schon völlig egal, wo sie hingingen. Hauptsache, der Weg war kurz und an seinem Ende wartete ein Bett, eine Bank oder auch nur Erde mit Stroh. Irgendwann dachte er kurz voller Dankbarkeit an Maga, der ihm geraten hatte, seine Tasche nicht mitzuschleppen.
    »Ich zeige dich jetzt Asa, und dann legst du dich hin. Heute arbeiten wir nicht, sie haben kein Material gebracht«, sagte Sewa im Gehen.
    Nach dreihundert Metern durch den Wald erreichten sie ein kleines Holzhaus. Sewa stieß die Tür auf, drehte sich nach Viktor um und ließ ihn eintreten.
    Schon im Flur der Hütte war es viel wärmer als draußen. Die warme Luft auf Viktors Gesicht tat gut. Der Flur war kurz und gerade, etwa anderthalb Meter breit. Geschlossene Türen führten nach rechts, links und geradeaus.
    Sewa klopfte an die rechte Tür und lauschte.
    »He!« sagte er ziemlich laut. »Asa! Ich habe eine Arbeitskraft gebracht!«
    Die Tür ging auf, und ein kleiner, dicker, glatzköpfiger Mann im blauen Trainingsanzug schaute heraus. Rundes [262] Gesicht, große Nase, kleine runde Augen unter buschigen Brauen. Er hatte etwas Kaukasisches, aber eindeutig nichts Tschetschenisches. So dachte Viktor, während er den Mann im Halbdunkel des Flurs beobachtete.
    Der runde glatzköpfige Mensch kaukasischer Nationalität gähnte und blickte von Viktor zu Sewa.
    »Er hat keine Waffe?« fragte er.
    »Nein. Er ist müde, will schlafen…«
    »Na, soll er schlafen.« Der Glatzköpfige wies mit dem Kopf auf die Tür gegenüber. »Du hast doch Dschangirows Matratze gelüftet?«
    »Gelüftet und mit Kerosin besprüht.«
    »Heute abend könnten Kunden kommen, ein Föderaler war da«, sagte der glatzköpfige Asa, warf noch einen Blick auf den Neuen und schloß die Tür hinter sich.
    In der kleinen Kammer gegenüber standen auf beiden Seiten der Tür zwei grobgezimmerte Holzgestelle mit gewöhnlichen Matratzen und roten wattierten Decken drauf. Unter einem kleinen Fenster stand ein Nachttisch, davor, näher zur Tür hin, ein aus einer Eisentonne bestehendes Öfchen. Das Ofenrohr verlief gerade nach oben und verschwand in der Decke.
    46
    Viktor erwachte von einem merkwürdigen Geruch und in einem gleichzeitig erschöpften und hellwachen Zustand. Im Zimmer war es warm und dunkel, nur das Feuer knisterte in dem Eisenofen, und durch die Ritzen in der [263] Ofentür flogen einzelne Funken heraus. Auf dem Nachbarbett war niemand. Wäre dieser seltsame Geruch in der Luft nicht gewesen, hätte die Illusion von Gemütlichkeit Viktor bereits mit der Welt versöhnt. Aber warum eigentlich Illusion? Gemütlichkeit kann man überall finden, auch in einer dreckigen Höhle.
    Viktor erhob sich, beugte sich zum Fenster und berührte aus Versehen mit der Nase das kalte Glas. Er zuckte sofort zurück und schnupperte wieder diesem störenden Geruch nach.
    ›Vielleicht Kerosin?‹ überlegte er.
    Er zog die Stiefel an. Sie waren doch reichlich groß. Er streifte sie wieder ab, umwickelte seine Füße mit den Lappen, die ihm der alte Tschetschene geschenkt hatte, und zog die Stiefel wieder an. Jetzt war es innen dichter geworden, die Fußmaße hatten sich den Stiefelmaßen angenähert und zwei getrennte Materien hatten sich auf Zeit zusammengefügt.
    Viktor freute sich für seinen linken Fuß, der so in dem vom Pitbull zerkauten Schuh gelitten hatte. Jetzt war alles an seinen Platz gerückt, und ein Gleichgewicht positiver Empfindungen stellte sich ein. Die Gedanken durften jetzt nur nicht über dieses warme Zimmerchen hinausgehen. Zwar war da dieser Geruch… Und wenn schon! Mochte dieser Geruch die einzige und letzte Unannehmlichkeit in diesem Leben bleiben! Viktor geriet ins Träumen.
    Da ging die Tür auf, und Sewa kam herein und schickte den Strahl seiner Taschenlampe vor sich her.
    »Gut geschlafen?«
    »Ja«, sagte Viktor und gähnte. »Aber nach was riecht es hier?«
    [264] »Hausgemachtes Kerosin, eine tschetschenische Familie hat als Bezahlung ein ganzes Faß hergeschafft… Es hilft prima gegen die Mücken, nur wenn man zuviel nimmt, gibt es Kopfweh! Macht nichts. Ist bald verflogen. Mücken gibt es ja auch keine mehr, der Winter ist fast da! Na, komm, arbeiten!«
    »Was werden wir machen?« fragte Viktor neugierig.
    »Die Röhre einheizen.«
    Der Himmel über der ›Offshore‹-Zone war finster und sternenlos. Ein heftiger Wind wehte,

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