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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Druckanzeiger und beobachtete aufmerksam die Nadel.
    Viktor berührte das Rohr und erwartete, daß es bereits heiß sein würde und er sich so die eher vor Furcht als vor Kälte steifen Hände wärmen konnte. Aber es war kalt.
    Sewa war schon wieder munter geworden und erklärte, daß das Feuer in einem anderen Rohr wütete und daß sich dieses andere Rohr im Inneren der großen, von der Pipeline abzweigenden Röhre befand. Aber auch die von der Pipeline kommende Röhre, erklärte Sewa, würde bald so heiß werden, daß bei Schnee im Umkreis von fünfzig Metern um die Baracke grünes Gras wuchs.
    In der Baracke wurde es wirklich schnell warm.
    »Wir heizen noch zwanzig Minuten ein«, sagte Sewa und rieb sich die Hände. »Dann drosseln wir und warten auf Kunden.«
    47
    Innerhalb von zwanzig Minuten stieg die Temperatur drinnen stark an, und Viktor wurde es heiß. Er wollte seine Jacke ausziehen, aber Sewa hielt ihn davon ab. Er machte die Tür weit auf, drehte das der ›Raketenröhre‹ am [268] nächsten gelegene Ventil ein wenig zu und rief seinen Partner an die frische Luft, zum Abkühlen.
    Sewa zündete sich eine Zigarette an. Viktor wanderte zur Pipeline und blickte von dort zum Dach ihrer hölzernen Baracke. Aus dem Schornstein quoll dicker Rauch und stieg als dunkle Säule einige Meter hoch, ehe der Wind ihn auseinanderriß und in dem nächtlichen Dunkel zerstreute.
    Irgendwo in der Nähe krachte ein Zweig, und Viktor fuhr herum. Er warf einen Blick zu dem ruhig dastehenden Sewa. Der sah sich auch um, nahm noch einen Zug, warf die Zigarette hin und trat sie aus. Dann ging er den näherkommenden Lauten entgegen. Im Gehen zog Sewa die Taschenlampe heraus und leuchtete sich den Weg. Er ging zu dem Pfad, der an der Pipeline entlangführte.
    Viktor, allein zurückgeblieben, fühlte sich unbehaglich. Zuerst wollte er in die Baracke zurückgehen, aber dann lief er zum nächsten Baum und kauerte sich an seinen Stamm. Er versteckte sich, obwohl er wußte, daß die Anspannung, die ihn befallen hatte, ganz grundlos und überflüssig war. Sewa erwartete ›Kunden‹, und jetzt ging er ihnen entgegen. Überhaupt kein Grund, nervös zu werden und sich zu verstecken.
    Bald erschien auf dem kleinen Platz zwischen der Pipeline und der Baracke wieder der Lichtstrahl von Sewas Taschenlampe. Dahinter kam Sewa, gefolgt von zwei Männern. Die beiden trugen etwas auf den Schultern, das wie ein zusammengerollter Teppich aussah. Die Last war schwer, das sah man auch im nächtlichen Halbdunkel. Sie schritten langsam und schweigend und verschwanden hinter Sewa in der offenen Tür zur Baracke.
    [269] »He, wo bist du?« rief Sewa gleich darauf und schaute wieder heraus.
    Viktor verließ seinen Unterschlupf.
    »Schleich dich nicht einfach weg! Sonst ergeht es dir wie Dschangirow!«
    In diesem Moment interessierte Viktor sich nicht einmal weiter für das Schicksal von Dschangirow. Er betrat die Baracke. Im trüben Licht der Kerze sah er, daß die beiden Ankömmlinge ihre Last im hinteren Winkel der Baracke abgelegt hatten. Jetzt standen sie schweigend da, als ob sie auf Anweisungen warteten.
    »Komm her!« rief Sewa ihn von dort hinten.
    Auf dem Lehmboden vor dem hinteren Ende der Röhre lag auf einer Decke ein Leichnam. Sein Gesicht war zertrümmert, und deshalb konnte man nicht erkennen, ob der Mann Russe war oder Tschetschene. Viktor warf einen heimlichen Blick auf die Ankömmlinge und sah, daß sie Tschetschenen waren. Sie standen da wie Statuen, mit zusammengebissenen Zähnen. Man hörte sie nicht mal atmen.
    Sewa reichte Viktor ein Paar Handschuhe, die aussahen wie abgenutzte Boxhandschuhe.
    »Zieh an, gleich wird es heiß!« warnte er.
    Zu zweit packten sie die Griffe der Luke und zogen sie zu sich her.
    »Beug dich weiter weg«, empfahl Sewa nach einem Blick auf den Gesichtsausdruck seines Partners.
    Die runde Luke mit dem grob gehämmerten, unebenen Rand bewegte sich zur Seite. Die erste Hitzewelle verteilte sich in der ohnehin schon mächtig aufgeheizten Baracke. [270] Viktor sah in die Röhre hinein und erblickte eine zweite Röhre mit einem Durchmesser von weniger als einem Meter, die mitten in der anderen Röhre verlief und mit einer Menge eiserner Streben von innen an sie angeschweißt war. In der Tiefe bemerkte Viktor ein von zwanzig kleineren Flämmchen vervielfachtes Feuer. Er begriff, daß genau diese Flämmchen durch jenes letzte Ventil reguliert wurden.
    Die schmalere Röhre wurde ebenfalls von einer Luke verschlossen.

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