Pinguine lieben nur einmal
das durchziehen?
Zurück zu der Frage, was ich denn überhaupt will. Das war für mich schon immer am schwersten zu beantworten. Will ich essen, oder will ich abnehmen? Will ich ins Kino und danach Cocktails trinken gehen, oder will ich das Geld sparen? Will ich ausschlafen oder pünktlich sein? Jedes Mal, wenn ich eine Entscheidung treffe, bereue ich sie und könnte schwören, dass ich mit der Alternative auf jeden Fall besser gefahren wäre.
Zu der Möglichkeit Ich will Janosch gibt es allerdings spätestens seit unserem Kuss keine Alternative mehr. Ich bin kein Mädchen, das ohne Gefühle küsst. Ich habe noch nie hackevoll auf einer Party mit einem Wildfremden rumgeknutscht, ich bin auch noch nie in einem unbekannten Bett aufgewacht. Ich lebe immer noch in der wohlbehüteten Welt eines kleinen Mädchens, für das ein Kuss Ausdruck von Liebe ist.
Ich will Janosch wirklich, nur wie?
Ganz!, lautet die einfache schwierige Antwort. Ein Paradoxon. Mal wieder.
Ganz heißt doch mit Hallo, das ist mein Freund! Undmit Ich liebe dich und mit Körperkontakt und so… ODER ? Oder hat sich das geändert, seit mein Kanada-Exfreund ins Land des Ahornsirups abgehauen ist? Macht man das jetzt nicht mehr so?
Ich kann also festhalten, dass ich Janosch will, und zwar ganz, aber noch nicht weiß, wie lange ich es aushalte, dass er mich nicht will, zumindest nicht ganz.
Außerdem beschleicht mich so langsam der Gedanke, dass wir uns seit Freitag nicht getroffen haben, weil er mich nicht treffen will.
Es gibt Themen, die kommen einem irgendwann aus den Ohren raus, und Martin Luther King gehört definitiv dazu. Über den habe ich schon in sämtlichen Schulfächern hundertzehnmal das Gleiche gehört, und jetzt sagt der Anglistik-Prof auch noch, er wisse, dass wir das schon hundertzehnmal gehört haben, und behauptet dennoch, seine Vorlesung räume mit altem Halbwissen auf. Ich bin mit meinem Halbwissen ganz zufrieden und nicht willig, es heute zu Ganzwissen zu verdoppeln.
Ein bestimmtes Thema lässt mich dagegen nicht los: Sex. Nicht, weil ich an Hormonüberschuss leide, sondern weil sich die Problematik im Zuge meiner Seifenoperngedanken nun mal aufzwingt.
Mein letzter Sex war letztes Jahr im September. Herzlichen Glückwunsch, liebe Libido, das ist weit über ein Jahr her. Wer aufgepasst hat, weiß noch, dass der Kanada-Ex schon im August mit mir Schluss gemacht hat. Natürlich war ich blöd genug, kurz vor seinem Abflug noch einmal mit ihm zu schlafen, weil ich auf so einen Quatsch wie Neuanfang und Fernbeziehung gehofft habe.
Den Kanada-Ex mitgezählt und fahrlässig aufgerundet, hatte ich bisher genau… Moment, ich muss überlegen… wie viele Sexualpartner? Ach ja, richtig: EINEN ! Während meine Freundinnen und Freunde im Alter zwischen sechzehn und neunzehn mehrere Beziehungen hatten, hatte ich nur eine.
Das ist wirklich okay. Ich bin stolz, sagen zu können, dass ich bisher nur mit diesem einen Typen geschlafen habe und keine Hirn aus setzer gekoppelt mit Sexlust ein setzern hatte. Das ist gut so. Aber jetzt wird’s so langsam Zeit für Nummer zwei.
In meinem Magen breitet sich allerdings ein drückendes Ich-kann-das-nicht-mehr-und-bin-auch-nicht-gut-genug-Gefühl aus. Ich versuche dieses Gefühl zu kompensieren, indem ich mir einrede, dass Janosch vielleicht auch nicht so viel Erfahrung hat. Klar, er ist älter als ich und attraktiv und geradezu prädestiniert dazu, von Mädchen angehimmelt zu werden, die sich gerne in schwierige Typen verlieben, um sie dann zu therapieren und umzuerziehen. Wenn er die vielen Interessentinnen jedoch ähnlich schroff abspeist wie mich anfänglich, sollte es um seine Erfahrung mau bestellt sein.
Ich bekomme kein Wort von meinem Professor mit. Stattdessen vertiefe ich mich in meine Gedanken über Janosch und mich und schmiede den Plan, nach Beendigung der Vorlesung mit gespielter Erwartungslosigkeit in den E-Trakt zu marschieren, um ihn dort eventuell zu treffen.
BESETZUNG
Auf einem Banner, das über dem Eingang zum E-Trakt hängt, steht in rot-grün-blau-gelben Lettern in Kinderschrift geschrieben: DAS HAUS E IST BESETZT . Irgendeine Studenteninitiative hat zum bundesweiten Bildungsstreik aufgerufen und versucht ihre Forderungen durchzusetzen, indem sie den Zugang zu Teilen des Unigebäudes verrammelt. Ich frage mich, ob ein Bildungsstreik nun ein Streik für Bildung oder gegen Bildung ist.
»Wogegen demonstriert ihr denn?«, frage ich eine dünne schwarzhaarige Studentin, die
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