Pinguine lieben nur einmal
höre ich eine weiche, weibliche Stimme hinter meinem Rücken.
Ich drehe mich zu Janosch um, der immer noch neben mir sitzt, und bemerke, dass Pia und eine Mittzwanzigerin hinter ihm stehen. Sie ist groß, nicht dick, nicht dünn, man könnte sagen genau richtig, und hat rotblonde Haare. Ich sehe den weißen Stock in ihrer Hand und verstehe deshalb auch sofort, wer das ist, noch bevor Janosch, ohne sich umzudrehen, mit neutraler Stimme sagt: »Hallo, Karo.«
Mir rutschen alle Organe irgendwohin, wo sie definitiv nicht hingehören. Ich fühle mich schrecklich fehl am Platz, und dann weiß ich plötzlich, dass es mit meiner Menschenkenntnis nicht sehr weit her ist. Janosch hat die ganze Zeit gewusst, dass sie kommen würde. Und er hat versucht, es vor mir zu verheimlichen, der Hund. Ihm war klar, dass sie mit den anderen Freunden eingetroffen sein muss. Ihre Anwesenheit erklärt, warum er nervös wurde, den Wein heruntergestürzt hat und früh zu Bett wollte.
Die Karo Sieben sieht ganz und gar normal aus. Wenn man wohlwollend ist, könnte man sagen, sie ist hübsch, aber ich bin nicht wohlwollend, also sage ich: Sie ist äußerlich absolut unauffällig.
Janosch erhebt sich, legt eine Hand auf Karo Siebens Schulter und zieht sie in eine Umarmung. Ich will jetzt gerne mal brechen gehen.
Ich sehe, wie Karos Hand in einer routiniert wirkenden Bewegung über Janoschs Gesicht streift. Er erwidert die Geste nicht.
»Wow, du hast ja ganz lange Haare«, lautet ihr Resultat aus dem Abtasten. »Und? Wie läuft’s in der Uni? Kommst du voran?«
»Ja, geht alles gut. Wenn ich Glück habe, kann ich übernächstes Semester Referendariat machen. Und bei dir?«
»Ich sitze an meiner Masterarbeit.«
»Wirklich? Das heißt, du wirst zum Sommersemester fertig?«
»Ja, im Moment sieht es ganz gut aus. Ich habe großartige Profs. Du hättest auch in Marburg bleiben sollen damals, da sind alle viel…«
Ich schalte ab. Meine Ohren wollen nicht länger zuhören. Meine Ohren wollen Suizid begehen. Und meine Augen auch. Dann muss ich nicht mehr mitansehen und anhören, wie vertraut die beiden miteinander sind.
Pia nimmt sich meiner an und reicht mir wie aus dem Nichts ein Glas Wein. »Wir haben noch gar nicht angestoßen«, sagt sie.
Nachdem wir einen Schluck genommen haben, übergebe ich ihr endlich mein Geschenk.
»Ach, Feli, das ist wirklich total toll von dir.«
»Was?«
»Alles. Das mit den Theaterkarten. Dass du mitgekommen bist und das mit dir und Janosch.«
»Ja?«
Pia nickt. »Und mach dir keine Sorgen wegen Karoline. Die beiden haben sich lange nicht gesehen und unterhalten sich bloß ein bisschen. Wenn du mal auf Janoschs Körpersprache achtest, dann siehst du, dass er keinerlei Interesse mehr hat.«
Ich beobachte ihn und kann zunächst nur einen Janosch erkennen, der sich scheinbar interessiert unterhält.
»Er hat die Hände vor der Brust verschränkt und den Kopf nach unten geneigt. Außerdem steht er mehr als zwei Schritte von ihr entfernt. Die Sache ist absolut passé. Glaub mir, ich kenne meinen Bruder. Er ist lange nicht so cool und undurchsichtig, wie er immer denkt.«
Pia und ich müssen gleichzeitig über Janosch lachen. Das lenkt seine Aufmerksamkeit wieder auf uns.
»Was ist?«, fragt er und wendet den Kopf lächelnd in unsere Richtung. Er lässt die Arme fallen und setzt sich wieder zu mir.
»Mädchengespräche«, erklärt ihm Pia. »Karo«, sagt sie dann, »das ist Janoschs Freundin Feli.«
»Oh, ach so, hallo«, Karo streckt die Hand aus.
Ich ergreife und schüttele sie. »Hi«, sage ich dann.
»Ähm… Ich wusste gar nicht, dass… Woher kennt ihr euch?«
»Sie wohnt über mir«, sagt Janosch, und ich erkläre zeitgleich: »Er wohnt unter mir.«
Pia, Janosch und ich müssen über die hundertste Wiederholung unserer Kennenlerngeschichte lachen, doch als Karo betreten schweigt, greift Pia ein: »Wie auch immer.« Sie nimmt sie am Arm und geht mit ihr zurück zu der Gruppe von Freunden, die dem Brautpaar unter lautem Getöse ein großes Geschenk überreichen.
»Sorry«, sagt Janosch leise, streichelt mit beiden Händen über mein Gesicht und legt seine Stirn gegen meine. »Ich hätte dir sagen sollen, dass sie kommt.«
»Stimmt«, sage ich, weil er das sehr treffend zusammengefasst hat.
»Darf ich dich trotzdem küssen?«, fragt er.
Hallo? Was soll ich darauf denn bitte antworten, wenn nicht ein verzücktes Jaaaaaahaaaa?
Gegen elf beginnt die Wein-Whiskey-Sekt-Abwechselei von Neuem.
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