Pinguinwetter: Roman (German Edition)
ging den alten Wackeldutt an, ob Finn nun mein Kind war oder nicht.
Jetzt lachte der Übervater hinter mir sogar laut.
»Han Se dä Thriller Entrissen gelese?«, meldete sich die Matrone wieder zu Wort. »Do is och su en Verzwiefelte, die ’ner Mutter dat Kind usem Buch …«
»Zwei Erwachsene, bitte.«
Der Zoo war genauso voll, wie man nach der langen Schlange am Eingang hätte erwarten können. Ich konnte es nicht fassen, aber ich war bereits leicht gestresst, obwohl wir noch kein einziges Tier besichtigt hatten. Dabei hatte ich mich eigentlich auf den Zoo gefreut, denn mit Tieren erging es mir wie mit Kindern: Solange es nicht meine eigenen waren, fand ich sie recht unterhaltsam – zumindest die meiste Zeit.
»Eii-iiis!«, brüllte etwas an meiner rechten Hand.
Finn hatte die Warterei ebenfalls zugesetzt, und wie ich ihn kannte, witterte er seine Chance auf Wiedergutmachung. Aber so leicht wollte ich mich nicht geschlagen geben.
»Komm, Schatz, erst gehen wir ein paar Tiere ansehen, und dann machen wir eine Pause, und da gibt’s dann Eis, ja?«
Vielleicht sollte ich Trine Warum unsere Kinder Tyrannen werden noch schenken, bevor ich Herrn Winterhoff eine schriftliche Aufforderung zukommen ließ, sein neues Buch über den Umgang mit Patenkindern zu schreiben?
»Inguine, Inguine!!!«, brüllte das Anhängsel an meiner rechten Hand jetzt weiter.
»Erst kommt der Pavianfelsen, Finn, und danach gehen wir dann zu den Pin-gu-i-nen, ja? Mit Peee!«
Ich konnte es nicht lassen, Finn ständig zu verbessern. Alte Lektorenkrankheit. Trine hasste es. Aber Finn sollte doch in seinem Alter wenigstens Pinguine sagen können?! Ich kannte mich mit dem Entwicklungsstand der Drei-bis-irgendwas-Mitte-Fünfjährigen zwar nicht aus, aber …
»Da!«, schrie Finn und zeigte auf ein eselpferdartiges Wesen. »Przewalskipferd!«
Aha, ging doch.
Am Pinguinbecken ging es gerade wild zu, die Fütterung stand an. Das Pinguingehege war in zwei Bereiche aufgeteilt: Ein Teil war umgeben von einer hohen Glaswand, an der das Wasser emporpeitschte und man die kleinen Vertreter in Herrenanzügen beim Schwimmen beobachten konnte. Der andere Teil war nur andeutungsweise von einer mittelhohen Felssteinmauer umgeben. Die Granitplatten gingen kaum bis zur Hüfte und sollten wohl den freien Blick auf das Gehege nicht stören.
»Siehst du, Finn«, erklärte ich, »da kannst du gleich auch sehen, wie Pinguine essen. Das ist doch toll!«
Als ich die kleinen dicklichen Zeitgenossen sah, erinnerte ich mich an ein Gespräch mit Renate, das wir geführt hatten, als ich ungefähr so alt war wie Finn heute. Ich hatte meine Mutter gefragt, wo Eskimos denn lebten.
»In Iglus, das sind Häuser aus Eis«, war Renates Antwort gewesen.
»Und was passiert, wenn Sie ausziehen?«
»Womit?«
»Mit den Häusern.«
»Die bleiben dann leer.«
»Wieso?«
»Keine Ahnung …«
Renate wirkte bei derartigen Fragen schon damals immer schnell verzweifelt.
»Aber es könnten doch die Pinguine einziehen?!«
»Theoretisch ja …«
Auch das war keine gute Antwort.
»Was heißt das?«
»Ich weiß es nicht«, sagte sie matt. »Heute ist kein Fragewetter.«
»Aber vielleicht Pinguinwetter?«
»Auch kein Pinguinwetter, Kind.«
Bis heute stellte ich mir ständig Fragen dieser Art, die nicht ganz so einfach zu beantworten waren. Was geschieht also nun mit den leerstehenden Iglus? Oder: Wo ist der Unterschied zwischen Raben und Krähen? Gibt es überhaupt einen? Und warum dreht sich der Uhrzeiger von links nach rechts und nicht andersrum?
Inzwischen hatte ich wenigstens einen besten Freund, der mir diese Fragen beantworten konnte: Wikipedia .
Ich wäre sicherlich noch länger in Gedanken versunken geblieben, wenn mir nicht diese seltsame und in Gegenwart von Finn immer beunruhigende Stille aufgefallen wäre.
»Finn?«
Wo war er hin?
»Fiiiinn! Fi-hinn!!!«
Ein winziger Moment Unaufmerksamkeit rächte sich in Sekundenschnelle. Ich sah nur noch, wie Finn flitzbogenartig Richtung Felsmauer rannte, hinter der die Wärter bereits die Fischeimer deponiert hatten. Mit spontan einsetzender Schnappatmung rannte ich hinterher. Ein Patenkind ersetzte also auch noch ein Fitnessstudio.
Na, einen Drei-bis-Mitte-Fünfjährigen werde ich ja wohl noch einholen, dachte ich.
Aber Finn war um einiges schneller, als ich erwartet hatte. Mit einem gezielten Sprung hüpfte er auf einen der ausstehenden Felsvorsprünge und zog sich an der Mauer hoch.
Oh Gott, betete ich nur noch,
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