Pinguinwetter: Roman (German Edition)
Handy nicht einmal geklingelt hatte, kam eins SMS . Sie war von Renate:
Jörn und ich sind in Untersuchungshaft. Robbenjagd war doch irgendwie illegal. Melde mich. Renate
»Trine!«, brüllte ich panisch durch die Wohnung.
Das darf doch nicht wahr sein! Jetzt manövriert sich auch noch Renate in die übelsten Situationen – das ist ja mal wieder typisch!
»Was ist denn los? Warum brüllst du so?«, fragte Trine, die mit einer Erdbeermaske aus dem Badezimmer kam.
»Renate ist im Knast!«
»Was?«
»Illegale Robbenjagd oder so. Wer weiß, was sie da jetzt schon wieder veranstaltet hat!«
»Na, aber das ist doch nur gerecht«, antwortete Trine entrüstet. »Die armen süßen Robbenbabys! Da muss man doch gegen vorgehen.«
»Mann, Trine! Was soll ich denn jetzt machen?«, fragte ich verzweifelt. »Ich kann sie doch da jetzt nicht sitzenlassen.«
»Ach was, sie selbst hat doch keine Robben gejagt, oder?«, versuchte Trine mich zu beruhigen. »Oder?!«
»Nein«, beschwichtigte ich. »Zumindest nicht, dass ich wüsste.«
»Na siehst du. Dann kommt sie auch wieder raus aus dem Kittchen.«
»Aber Jörn …«
»Der ist selbst schuld!«
»Aber man muss doch was tun …«
»Charlotte?«
»Was?«
»Kannst du bitte zuerst dein eigenes Leben auf die Reihe kriegen?« Da war er wieder, der Mutterton. »Deine Mutter fährt seit zig Jahren in der Weltgeschichte rum und kommt in Gegenden klar, in denen das Telefon mit Wählscheibe immer noch als Erfindung des Jahrhunderts gefeiert wird. Wichtiger ist doch, dass du hier weitermachst. Ich will mich ja nicht beschweren, aber ich habe in den letzten Tagen keine Anstrengung gesehen, die du in puncto Stellen- oder Wohnungssuche unternommen hättest.«
Das war neu. Trine war sonst nie der Typ Schlechtes-Gewissen-Macher, dieser Job war bis jetzt Mona vorbehalten. Jetzt fing sie also auch noch an. Und gerade von der immer gelassenen Trine Vorwürfe zu hören tat weh. Ich fühlte mich wie ein übler Parasit, der sich ungeplant überall ausbreitete.
Bevor ich irgendetwas erwidern konnte, piepte mein Handy erneut.
Renate Handy leuchtete auf dem Display. Ich las:
Brauche dringend dreitausend Euro in bar für die Kaution. Habe hier kaum Empfang. Renate
»Ach du Scheiße!«, entfuhr es mir, obwohl ich eigentlich bereits geübt darin war, Finn-Ersatz-Schimpfwörter zu benutzen. Aber in diesem Augenblick konnte ich darauf keine Rücksicht nehmen.
Renate brauchte dreitausend Euro – das war genau die Summe, die mir von meiner Abfindung nach Steuern noch bleiben würde. Wenn ich sie Renate zukommen ließ, war ich völlig pleite. Aber meine Mutter konnte ich doch nicht so einfach hängen lassen?!? Warum musste Renate sich auch gerade jetzt bei der illegalen Robbenjagd erwischen lassen, während meine Brüder in irgendeinem Robinson Club in der Karibik rumhingen und, wie ich sie kannte, wahrscheinlich kaum in der Lage waren, überhaupt ans Telefon zu gehen. Verdammt!
»Trine?«
»Ja, Liebes?«
Ich hielt Trine Renates SMS unter die Nase.
»Ich denke, ich werde noch ein wenig länger hier wohnen bleiben müssen.«
»Ich weiß, Liebes«, seufzte sie, »ich weiß.«
18. Kapitel
Wenn einer prädestiniert war, den Retter für mich zu spielen, dann war es Marc. Spätestens jetzt war es an der Zeit, ihm wegen der verpatzten Eric-Sache Schuldgefühle einzureden.
»Ich hab was gut bei dir«, eröffnete ich das Gespräch und erklärte ihm kurz und knapp meine missliche Lage.
Er reagierte wie immer gelassen. »Kein Thema, Hase, ich wollte schon immer mal nach Grönland. Da soll es tolle geführte Schlittenfahrten geben. Wie wäre es, wenn ich direkt hinfahre? Dann regle ich das mit der Kaution für dich und gebe das Geld ab. Und anschließend mache ich eine Hundeschlittentour.«
Dass Marc ein Gewissen hatte, war neu. Dass er ein schlechtes Gewissen hatte, auch. Und zwar ein derart schlechtes? So einfach hatte ich mir das Ganze nicht vorgestellt.
»Gut. Dann komme ich aber mit!«
Das war eine perfekte Gelegenheit, mal nachzusehen, was Renate da am Ende der Welt wirklich trieb.
Es hieß ja immer, dass sich die Beziehungen zwischen Kindern und Eltern ab einem gewissen Alter vertauschen. Ich schien jetzt in dem Alter zu sein.
Ich stellte mir vor, wie Marc und meine Mutter eine Woche zusammen auf einem von Renates Huskyschlitten durch die einsame Landschaft Grönlands fuhren. Wenn er eine Tour bei ihr buchen würde, hätte sie sogar zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
»Du
Weitere Kostenlose Bücher