Pinguinwetter: Roman (German Edition)
schinden. Man sagt ja auch, alleinerziehende Väter seien besonders attraktiv … Und da ich dachte, dass du eben auch …« Er lächelte und hob entschuldigend die Schultern. »Ich bin davon ausgegangen, dass du ähnliche Schwierigkeiten im Alltag hast wie meine Schwester. Und irgendwann war es zu spät.«
Ich konnte es kaum glauben.
»Du meinst, wir haben allen Ernstes beide unser eigenes Kind erfunden, um beim anderen mehr Eindruck zu schinden?«, fragte ich verblüfft.
»Scheint so«, antwortete Eric und strich sich durchs Haar.
»Ganz schön bescheuert!«
Eric nickte, nahm mein Gesicht in seine Hände und gab mir einen langen, zärtlichen Kuss. Unser erster, richtiger Kuss. Ohne Lügen, ohne Heimlichkeiten. Es war ein tolles neues, unbeschreibliches Gefühl, es war, als hätte sich eine Gefühlswelle aufgestaut, die mich nun überrollte.
Es ist doch komisch: Da stellt man sich sein ganzes Leben lang vor, wie der Eine sein soll, wie er aussehen soll, wie romantisch der erste Kuss wird … Und dann läuft es irgendwie ganz anders, und plötzlich ist alles, was man sich vorgestellt hatte, egal.
»Das ist neu«, ich lächelte Eric an, »und doch irgendwie vertraut.«
»Stimmt«, flüsterte Eric, »und ganz schön gut.«
»Iiiih!« Finn, der im hellblauen Traktorenfrotteeschlafanzug um die Ecke lugte, schimpfte und zog an Erics Hosenbein. »Nicht die Charlotte anspucken!«
Epilog
Es war ein wunderschöner Montagmorgen, und ich stellte die gusseisernen Eimer der Reihe nach neben dem Becken auf. Sie waren über und über mit kleinen Fischen gefüllt, die schon gierig von den watschelnden Gefährten in Herrenanzügen beäugt wurden.
Eric und Finn standen winkend an der Absperrung des Geheges und lachten mich an.
Seit meiner Kündigung waren inzwischen mehr als vier Monate vergangen.
Eric hatte mit seiner Schwester zusammen entschieden, dass Maya vorerst bei ihr bleiben sollte, und seine Schwester plante sogar, zukünftig die Hälfte des Jahres in Deutschland zu verbringen.
Zusammen hatten Eric und ich Monas Liste herausgekramt und festgestellt, dass ich wirklich schon immer gerne mit Tieren arbeiten wollte – solange sie nicht mir gehörten.
Erics Freund Willi war Direktor des Kölner Zoos und verschaffte mir neben einer Dauerkarte für Finn (sämtliche für Finn frei zugänglichen Gehege wurden von Eric ab sofort im Dauereinsatz versiert überwacht) eine Praktikumsstelle als Tierpflegerin bei den Pinguinen. Ob ich mich am Ende ganz für den Job entscheiden würde, wusste ich noch nicht. Das hatte aber auch noch Zeit.
Das Wichtigste war doch, dass Eric und ich uns ausgesprochen hatten. Er hatte mir sofort angeboten, mich aus dem Ritterburgzimmer zu retten und zu ihm zu ziehen. So was passierte mir nicht so schnell noch mal, also sagte ich Ja.
Außerdem hatte ich den begründeten Verdacht, dass Trine und Paul darüber ebenfalls ganz froh waren.
Und auch mit Mona wendete sich alles zum Guten: Sie hatte meine reumütige Entschuldigung angenommen.
Von Marc und Sarah-Nadine hatte ich eine Postkarte mit Huskys vornedrauf erhalten, auf der beide die tolle Landschaft und die professionelle Organisation der Hundeschlittenfahrt lobten. Selbst Renate hatte einige Zeilen darauf verfasst und bedankte sich für die schnelle Hilfe und ihre netten Gäste.
Ich winkte Eric und Finn zurück, und wollte gerade mit dem Verteilen der Fische beginnen, als mein Handy piepste. Eine SMS – von Renate.
Heute ist Antwortwetter,
stand da
Pinguine leben nicht in Iglus, weil sie die Gemeinschaft brauchen. Sie sind Herdentiere. Sie brauchen ihre Freunde und ihre Familie mehr als alles andere auf der Welt. Selbst wenn sie sich über die Hälfte des Jahres nicht sehen, so denken sie doch immer aneinander.
Mama
Ich blinzelte in die hellen Strahlen, die an diesem Morgen durch die Wolken brachen. Nach sechsundzwanzig Jahren bekam ich nun endlich meine Antwort.
Vielleicht ist es nicht wichtig, was uns passiert, dachte ich, sondern vielmehr, welche Entscheidungen wir daraufhin treffen.
Die Sonne schien, obwohl es noch kühl war.
Es war Pinguinwetter.
Charlottexikon
Urea/Harnstoff (lat. Urea), chemisch Kohlensäurediamid, ist eine organische Verbindung, die von vielen Tieren als ein Endprodukt des Stoffwechsels von Stickstoffverbindungen (z. B. Aminosäuren) im sogenannten Harnstoffzyklus produziert und im Urin ausgeschieden wird. Reiner Harnstoff ist ein weißer, kristalliner, ungiftiger und hygienisch unbedenklicher
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