Pinien sind stumme Zeugen
in Sicherheit. Er hatte den kommerziellen Himmel auf Erden erreicht, nichts mehr würde ihn gefährden, selbst die Jagdbomber konnten ihm nunmehr gleichgültig sein.
Der Mann ohne Vergangenheit schritt in eine verlockende, verführerische Zukunft, in ein rosa Ballett fürs Leben.
Es war der 2. Mai 1945. Nach langen Geheimverhandlungen in der Schweiz endete heute nach einem Jahr und zehn Monaten der Kampf in Italien, fünf Tage vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. In Italien läuteten die Kirchenglocken und brannten die Freudenfeuer. Die Menschen strömten zusammen, umarmten einander, prosteten sich zu, froh, eine abscheuliche Zeit überstanden zu haben.
Einer der glücklichsten war fraglos Herbie Miller, der jetzt den Dienst quittieren, die hübsche Gioia heiraten und mit ihr nach Amerika ziehen konnte.
Erst später erfuhren Bruno und seine Freunde, wie gut sie daran getan hatten, nicht gleich nach der Kapitulation Tombolo zu verlassen, sondern abzuwarten, bis das Land politisch nicht mehr so überhitzt war. Zwar hatten unter der Ägide der Angloamerikaner besonnene Führer der Resistenza die Macht übernommen, aber sie konnten bei der Hexenjagd auf Kollaborateure widerwärtige Ausschreitungen und blutige Exzesse nicht immer verhindern.
Unter dubiosen Umständen waren der Duce, seine Geliebte und einige führende Schwarzhemden-Vasallen in und bei Dongo am Corner See gegen einen ausdrücklichen CLN-Befehl von kommunistischen Partisanen getötet worden. Clara Petacci soll sich nach der einzigen durchgehenden Nacht, die sie mit dem Diktator gemeinsam verbracht hatte, bei der Erschießung vor ihn geworfen haben. Es konnte eine Legende sein, denn das blutige Finale blieb weitgehend im Dunkel.
Ein selbsternannter Oberst Valerio, der tatsächlich Walter Audisio hieß, hatte die Exekution vorgenommen und die Leichen der Getöteten nach Milano schaffen lassen, wo sie, mit dem Kopf nach unten, an einer Tankstelle aufgehängt und vom Pöbel bespuckt und verstümmelt wurden. Später setzte man Mussolini heimlich in einem Klostergarten bei – ohne Gehirn, das dem Schädel für Untersuchungen amerikanischer Wissenschaftler entnommen worden war. Auf Betreiben Donna Racheles, der Duce-Witwe, mußte es später zurückgegeben werden.
Nicht mehr zum Vorschein jedoch kam der Staatsschatz, den der Diktator bei sich gehabt hatte: 54 Kilo Gold, 21 Kilo Goldmünzen, 16 Kilo französische und spanische Münzen, 36 Kilo Tausend-Lire-Scheine, 16 Kilo Banknoten zu je tausend Schweizer Franken. Die Republik Italien würde später Anklage gegen 37 Verdächtige wegen Plünderung, Unterschlagung und wegen Mordes erheben – mehrere Augenzeugen waren umgebracht worden. Schließlich starben im Lauf einer langen Untersuchungszeit alle Beteiligten eines natürlichen oder unnatürlichen Todes – bis auf Walter Audisio, der als kommunistischer Abgeordneter des neuen italienischen Parlaments immun war und das Rätsel offen ließ, ob die Kommunisten, die Mafia oder Neofaschisten den Schatz von Dongo an sich gerissen hatten.
Diese Vorgänge würde die italienische Öffentlichkeit erst viel später erfahren, aber jeder Tag brachte neue Enthüllungen über Untaten des faschistischen Regimes und seiner nördlichen Bundesgenossen, die sowohl ordentliche Gerichtsverfahren wie gesetzlose Verfolgungen auslösten: 20.000 Italienerinnen wurden kahlgeschoren und Hunderte, wenn nicht Tausende danach gelyncht.
Italien leckte sich die Wunden und lechzte nach Rache. In Rom standen Pietro Caruso und Pietro Koch vor Gericht, die Chefs der faschistischen Sonderpolizei, wurden verurteilt und erschossen – und hielten dabei vom Papst Pius XII. übersandte Rosenkränze in der Hand.
Nicht selten entgleiste der Straßenmob. Zwei Tage vor dem Caruso-Prozeß im römischen Justizpalast wollte die Witwe eines Opfers den Mörder ihres Mannes erkannt haben.
»Das ist er!« schrie sie.
Der kleine unscheinbare Mann, in Wirklichkeit ein Zeuge der Anklage, wurde von einer rasenden Menge niedergeschlagen und aus dem Saal gezerrt. Die Carabinieri retteten den Mann und schafften ihn in einen anderen Raum des Gebäudes. Der Mob griff die Uniformierten an, als sie Donato Caretta in einem Lastwagen wegbringen wollten. Der Wagen sprang nicht an. Die Rasenden wollten den Fahrer einer Straßenbahn zwingen, den verwechselten Konfidenten der Resistenza zu überfahren. Der Entsetzte lief davon, und auch Caretta konnte sich losreißen, aber er kam nicht weit. In den Tiber geworfen,
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