Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pinien sind stumme Zeugen

Pinien sind stumme Zeugen

Titel: Pinien sind stumme Zeugen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
Vom Netzwerk:
langen Gang zur Direktion geht, als um Zweckpolitik, und die Macht ist keine Frage der Moral. Schon redet man von neuen deutschen Streitkräften. Er verzieht die Lippen, als er daran denkt, daß die Militärplaner jetzt nachträglich den Generalfeldmarschall Keitel und den Generaloberst Jodl vom Nürnberger Strick abschneiden würden, so sie es könnten.
    Landsbergs oberster Wächter ist Major, dem Besucher im Rang übergeordnet und offensichtlich wenig erfreut über den Captain, den er erwartet. »Nehmen Sie Platz, Gambler«, begrüßt ihn der Direktor. »Ich habe die Weisung aus Washington erhalten, die alte ›Operation Tombspy‹ noch einmal anlaufen zu lassen.« Seine Finger nesteln nervös an einem Schriftstück. »Ich habe die Vorbereitungen getroffen.« Er zündet sich eine Zigarette an. »Im übrigen muß ich Ihnen sagen, daß mir die Sache nicht gefällt, aber …«
    »Aber Sie führen lediglich einen Befehl aus«, unterbricht ihn der Captain, der bei Robert S. Steel in die Schule gegangen ist. »Ich übrigens auch.«
    »Ich mache Ihnen doch keinen Vorwurf«, versetzt der Major. »Was sein muß, muß sein. Aber Sie wissen, daß diese Manipulation mir immer irgendwie gegen den Strich gegangen ist.«
    »Mir auch«, behauptet der Captain. »Aber es gibt Dinge, die mir noch mehr gegen den Strich gehen – und die sollen Sie verhindern.«
    »Was ist denn eigentlich los?« fragt der uniformierte Gefängnisdirektor.
    »Ob Sie's mir glauben oder nicht, Sir, ich habe keine Ahnung«, erwidert der Besucher. »Ich bekam die Order über die gleiche Leitung wie Sie mit dem Zusatz, so schnell wie möglich zu handeln und das Ergebnis unverzüglich nach Washington weiterzuleiten.«
    »Well«, antwortet der Anstaltsleiter. »Es ist alles vorbereitet – im Raum nebenan. Er ist ›off limits‹ für alle, außer Ihnen.«
    »Thanks a lot, Sir«, bedankt sich CIC-Captain Gambler.
    Die Angst geistert durch das riesige Haus. Während der Exekutionen sterben auch die Überlebenden eine Stunde lang mit – und können weiter auf die Aufhebung der Höchststrafe hoffen. Ihre Anwälte kämpfen in Amerika wie die Berserker um ihr Leben, weniger den Verurteilten zuliebe, als um Schlagzeilen in der Presse zu bekommen. Wenn sie es dann doch nicht schaffen, sind letztlich advokatische Tricks und Raffinessen daran schuld, daß ihre Mandanten so lange leiden mußten. Nicht nur die Todesstrafe ist unmenschlich und atavistisch, sondern auch ihre Peripherie, selbst Kriegsverbrechern gegenüber, auch wenn sie keinerlei Mitleid an ihre Opfer verschwendet hatten.
    Rotjacke Schibalsky kommt aus dem Krankenrevier zurück. Früher waren die Todeskandidaten streng isoliert. Seit einiger Zeit duldet man, daß sie einander in den Einzelzellen besuchen. Der ehemalige Rapportführer von Mauthausen bringt entsetzliche Gewißheit: Neun, so will er erfahren haben, werden morgen früh hingerichtet – neun von 129.
    »Diesmal bin ich dran«, sagt Schibalsky zu seinem Schicksalsgefährten Müller-Malbach. »Das spür ich im Urin.« Seiner Stimme ist keinerlei Bewegung anzumerken; er ist hart auch gegen sich selbst, hart wie Kruppstahl. »Na, dann ist endlich Schluß mit dieser Sauerei hier«, setzt er hinzu.
    »Mensch, Horst, hast du Nerven«, erwidert der ehemalige Sturmbannführer. »Namen hast du nicht herausgebracht?« fragt er hastig und schluckt trocken.
    »Nein, das nicht«, entgegnet Schibalsky, der ganz durchschnittlich und harmlos aussieht, wiewohl man ihn einst den ›Schinder von Mauthausen‹ nannte. »Da halten sie immer dicht, bis zuletzt. Das weißt du doch.«
    Der ehemalige Spitzenmann in der Abteilung VI b des Reichssicherheitshauptamts ist fahlblaß geworden. Kalter Schweiß steht ihm auf der Stirn; er wischt ihn mit dem Handrücken weg, aber gleich glänzt sie wieder wie silbrig; es ist ebenso zwecklos, wie die Angst zu kaschieren.
    »Mann, hast du vielleicht Manschetten!« schilt ihn der abgefeimte Schibalsky. »Wir sind doch schon lange darauf gefaßt. Alles halb so schlimm: dreizehn Stufen hoch, der Scheißkerl von Henker löst die Falltreppe aus, du knallst nach unten, und dein eigenes Körpergewicht bricht dir den Halswirbel. Die Scheiße dauert nur Sekunden. Bis du überhaupt begreifst, was mit dir geschieht, biste schon hinüber – und dann haste deine Ruhe für immer.«
    »Hör auf, so zu reden!« keucht Müller-Malbach mit verdrehten Augen. »Du mußt wahnsinnig sein«, stöhnt er. »Was bist du? Ein Sadist, ein Masochist,

Weitere Kostenlose Bücher