Pinien sind stumme Zeugen
der Straße von einem betrunkenen Autoraser tödlich überfahren. Wir haben uns gefragt, ob er nicht ermordet wurde. Herbie hat an einem Fall gearbeitet, den wir nicht kennen. Du weißt ja, er sprach immer erst über Dinge, wenn er sie beweisen konnte.«
»FBI hat diesen Verdacht fallenlassen?« fragt Steel.
»Ja und nein«, bestätigt Ginty. »Schon vor Herbies Beerdigung hat sich der Autofahrer gestellt. Er wurde angeklagt und verurteilt. Er kann ein Strohmann der Mafia sein, der durch Absitzen der Strafe Geld verdient, um dadurch unseren Verdacht wie eine Zigarettenkippe auszutreten. Der Täter ist ein Bluesmith. Er sitzt noch.«
»Dann möchte ich, daß ihr die Ermittlungen in dieser Sache wieder aufnehmt und den Mann mit allen Mitteln – auch illegalen – noch einmal durch die Mühle dreht.«
»Keine schlechte Idee«, entgegnet Ginty. »Bisher fehlte mir nur die Vollmacht.«
»Darum brauchst du dich jetzt nicht mehr zu scheren«, erwidert Steel. »Um noch einmal auf den vermißten Poletto zurückzukommen: Wo wurde er zuletzt gesehen?«
»In Tombolo. Von versprengten deutschen Fallschirmjägern – aber auch von anderen.«
»Schon wieder Tombolo«, entgegnet Steel.
»Der Schandfleck Italiens«, erläutert Ginty. »Eine riesige Pineta zwischen Livorno und Pisa, verwachsen wie ein Urwald.«
»Ich weiß«, sagt Steel. »Das frühere Jagdrevier des italienischen Königs.«
»Dann der Wald der Deserteure und Versprengten aus siebzehn Ländern«, fährt der FBI-Experte fort. »Der Mafiosi, Exfaschisten, Partisanen, Agenten, Schwarzhändler und Straßenräuber. Das ganze garniert mit dreitausend Weibern zwischen fünfzehn und sechzig, unter ihnen die letzte Hure, die aus dem schäbigsten Bordell hinausgeworfen wurde, aber auch eine Marchesa, die ihrem Mann davongelaufen war, höhere Töchter …«
»Habt ihr Unterlagen über Tombolo?«
»Natürlich, Bob«, antwortet Ginty. »Aber sie sind unvollständig, trotz einer langen Latte von Namen.«
Das Gespräch wird unterbrochen. »Fred«, meldet sich Nimble telefonisch aus New York. »Halt dich mal fest, alter Junge! Deine Herzensdame hat's in sich – einmal arbeitet ›Myers & Niggel‹ schon seit vorigem Jahr nicht mehr für ›General Motors‹, und dann wird deine Mrs. Sandler zwar in der Personalliste der Werbefirma geführt, aber sie ist nicht für sie tätig. Mit Werbung hat sie überhaupt nichts zu tun. Muß ich dir noch mehr erklären, Bob?«
»Eine Scheinidentität …«
»So ist es«, bestätigt Fred Nimble. »Nun laß es dir gutgehen, und von mir hast du nichts erfahren.«
Der Zorn entstellt einen Moment lang Steels Gesicht. Er weiß sofort: Nur James Partaker, der von einigen Mitarbeitern mit einer Kobra verglichen wird, kann ihm Gipsy als Spionin ins Bett gelegt haben.
Im ersten Moment möchte der gerissene Fahnder den Job hinwerfen und aus der Sache aussteigen, dann aber entsinnt er sich der amerikanischen Tugend: Make the best of it!
Er lächelt hinterhältig, denn er hat eine Idee, wie er dem Macher der Agency die Heimtücke heimzahlen könnte.
Es ist billiges Schmierentheater, aber das merkt ein Mann nicht, dem die Todesangst im Nacken sitzt. Seitdem der gräßliche Schibalsky in seine Zelle zurück mußte, kauert Müller-Malbach auf dem rohen Holzschemel und starrt auf den Boden, spürt den Strick schon um den Hals und ertrinkt im Entsetzen; er schlägt in Gedanken um sich wie ein Nichtschwimmer, aber die Angst hält seine Gedanken im Würgegriff. Der Häftling schnauft so heftig, daß er in der Zelle den eigenen Atem wie ein Röcheln hört.
Schritte vor der Tür. Einer steht vor dem Guckloch und starrt in die Zelle. Der Henker nimmt Maß, sagt sich der Ex-Sturmbannführer in diesem Moment. Er weiß nicht, daß der Scharfrichter das Gebäude längst so verstohlen verlassen hat, wie er es sonst betritt; er wurde in Landsberg nur als Horror-Requisit benötigt. Bis auf weiteres gilt noch immer der Hinrichtungsstopp.
Müller-Malbach ist am ganzen Körper schweißnaß. Dunkle Flecke zeichnen sich auf seiner Rotjacke ab. Ob seine Frau – und Witwe von morgen – schon in Landsberg eingetroffen ist?, fragt sich der Delinquent. Ist sie abgestiegen in dem gutbürgerlichen Hotel ›Goggl‹, wo sie im holzgetäfelten Speisezimmer von den Gästen scheu gemustert wird, schweigend im Kreis der Frauen, die ihr Schicksal teilen müssen?
20 Uhr. Die Schritte entfernen sich wieder. Die Erleichterung, die der Todeskandidat spürt, ist
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