Pinien sind stumme Zeugen
Fluchtkapital?«
»Ja. Für alle Fälle – aber nur für die Spitze der oberen Zehntausend. Sie müssen sich etwas ausgedacht haben. Ich bin nie ganz dahintergekommen, aber der Chef hat mir einmal zugesichert, daß er mich mitkommen läßt, wenn die ganze Sache klappt. Jedenfalls hat dieser Bessermann im Ausland – in Italien oder in der Schweiz – gründliche Vorbereitungen getroffen.«
»Vorbereitungen wofür?« fragt Captain Gambler beiläufig.
Er bemerkt, daß der Mann in der Rotjacke zögert. »Keine Hintergedanken!« fährt er ihn an. »Sie sind noch lange nicht aus dem Schneider. Los, packen Sie schon aus!«
»Und welche Garantie habe ich, daß das Urteil nicht – nicht vollstreckt wird?«
»Keine«, entgegnet der schlanke Captain. »Ich könnte Ihnen ja sagen, Ihre Hinrichtung fällt aus, und kein Hahn würde danach krähen, wenn Sie der Henker dann doch im Morgengrauen aufknüpft. Sie halten uns Amerikaner ohnedies für Schweinehunde und trauen uns alles zu. Aber«, sagt er zu dem Entsetzten, »jetzt hören Sie mir mal gut zu. Ich appelliere an Ihren Verstand und an Ihren Überlebensinstinkt. Denken Sie darüber nach: Wenn Sie mir jetzt tatsächlich entscheidende Tatsachen nennen – selbst wenn sie im Gegensatz zu Ihren früheren Aussagen stehen –, muß ich meinen Zorn hinunterschlucken und die Exekution verhindern, weil ich Sie als wichtigen Zeugen benötige. Kapieren Sie rasch, denn das ist momentan Ihre einzige Möglichkeit, sich – vielleicht – vor dem Galgen zu retten.«
Der CIC-Captain sieht anzüglich auf seine Armbanduhr. »Andernfalls sind Sie reif, in spätestens fünfeinhalb Stunden – los! Begreifen und reden – oder krepieren Sie!«
Müller-Malbach begreift rasch. Er spuckt Worte und Fakten aus wie ein Groschenautomat den Hauptgewinn. Er spricht so rasch, daß Gambler Mühe hat, ihm zu folgen.
»Ich komme morgen wieder«, verabschiedet sich der Offizier eine Stunde später. »Denken Sie inzwischen darüber nach, wer Bessermann außerdem noch kannte und woher ich ein Foto von ihm bekomme. Vielleicht fallen Ihnen noch andere Fakten ein – je mehr, desto länger leben Sie.«
Der Mann in der Rotjacke versteht zunächst nur, daß er morgen noch nicht sterben wird, wenn ihn der Captain wieder besuchen will. Tränen quellen ihm aus den Augen. Die Erleichterung kommt so plötzlich, daß er einen Herzanfall befürchtet und beide Hände gegen den Brustkasten preßt.
Captain Gambler fährt nach München zurück. Er hat es eilig. Der Fall ist heiß, brandheiß. Am Ammersee steigen die üblichen Herbstnebel auf. Der Offizier jagt seinen Fahrer viel zu schnell durch die Waschküche. Er weiß, daß die korrigierte Aussage Müller-Malbachs in Washington wie eine Bombe explodieren wird.
Wenn er an den Ex-Sturmbannführer denkt, schmeckt er Galle in seinem Speichel. Tatsächlich ist der Mann mit der Boxernase der erste, der Bob Steel, sein großes Vorbild, hereingelegt hat. Der Captain hätte damals Müller-Malbach den angedrohten Torturen unterziehen müssen. Seinerzeit hatte er wohl noch zu viele Skrupel und zu wenig Erfahrung im Umgang mit Monstern dieses Kalibers. Die Sonderkommission hatte damals Hunderte von Spuren zu verfolgen. Immerhin veranlaßte Bob, daß diese Kreatur nicht an die Polen ausgeliefert und auch nicht in Landsberg hingerichtet wurde. Irgendwie mußte Steel erfaßt haben, daß der Fall Müller-Malbach noch lange nicht abgeschlossen war, und so setzte er bei der neuen Fahndung sogleich auf die richtige Fährte. Und diesmal sagt der Mann von der RSHA-Fälscherzentrale mit Sicherheit die Wahrheit, um seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Müller-Malbach wird zumindest so lange nicht lügen, wie er um sein Leben kämpft.
Der 2. November 1948 bringt eine Weltsensation: Die hochfavorisierten Republikaner werden, entgegen allen Meinungsumfragen, von den Demokraten geschlagen. Nach stundenlangem Hin und Her zeichnet sich im neuen Medium Fernsehen eine knappe, aber ausreichende Mehrheit des Provinzlers Truman gegen den Weltmann Dewey ab. Die politischen Experten, die unfehlbaren Kommentatoren, die Meinungsmacher in den großen Zeitungen und auch bei den kleineren Blättern haben sich durch die Bank geirrt – und manche irren sich noch immer.
In Deutschland erscheint der ›Münchner Merkur‹ mit der Schlagzeile:
THOMAS E. DEWEY – AMERIKAS NEUER PRÄSIDENT – NACH 16 JAHREN REGIEREN WIEDER REPUBLIKANER.
Der Chefredakteur dieses Blattes, ein Mann
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