Pinien sind stumme Zeugen
14. Armee rückte von Süden her, um sich in Richtung Nordwesten zurückzuziehen. Die Sieben-Hügel-Stadt wurde für sie zum Durchlauferhitzer, aber Rom drohte erst zu bersten, als die ersten alliierten Truppen tatsächlich eingerückt waren. Was die geschwächten Deutschen nicht mehr geschafft hatten, erreichte die Begeisterung der römischen Zivilbevölkerung: Sie hielt Clarks Panzerverbände auf.
»Gleich haben wir es geschafft, und Rom liegt hinter uns«, sagte Panizza. »Wie geht's dem Oberleutnant?«
»Er schläft«, erwiderte Kopatsch; er nickte befriedigt – und dann kam er nicht mehr durch.
»Verdammter Bockmist!« fluchte Bruno und bremste jäh. Vermutlich angetrunkene Stadtbewohner hielten die vier verwundeten Fallschirmjäger für Alliierte und feierten sie stürmisch. Erst als der Südtiroler eine Kanonade deutscher Flüche abschoss und der Gorilla mit seiner MP herumfuchtelte, bemerkte die Menge ihren Irrtum und gab, sich zerstreuend, den Weg wieder frei.
Nicht immer ging es bei Zusammenstößen mit der Bevölkerung so gut ab. Aber man vergriff sich weniger an den Deutschen als an den eigenen Landsleuten. Rechnungen wurden präsentiert, die mit Politik nichts zu tun hatten, alte Streitereien unter Nachbarn brachen wie Geschwüre auf. Nicht selten begann man unter Führung von Kollaborateuren Unschuldige zu jagen. Die Schwächsten bezahlten als erste für die Zeche, Konvertiten gaben den miesen Ton an. Italienische Mädchen, die mit deutschen Soldaten Umgang gehabt hatten, wurden kahlgeschoren und mußten Spießruten laufen, bis sie blutüberströmt zusammenbrachen. Einige wurden vom Pöbel erschlagen, anderen wurden Hakenkreuze in die Haut gebrannt.
Im Vorbeifahren sah Panizza drei kahlgeschorene Ragazze, die von Passanten bespuckt wurden. Von den gefallenen Mädchen erwartete man politische Unschuld, die bei den Bankiers und Generälen nicht gefragt war, nicht zum Beispiel bei dem kleinen Intriganten Marschall Badoglio, der unter dem Faschismus Millionen gescheffelt hatte. Niemand mochte ihn, doch wäre auch keiner auf die Idee gekommen, ihn kahlgeschoren dem Straßenpöbel auszusetzen.
Bruno kannte sich wirklich hervorragend aus. Er verließ die verstopfte allgemeine Fluchtrichtung nach Orvieto und erreichte über ein Gewirr von Nebenstraßen die parallel östlich verlaufende Route nach Siena. Der Verkehr war jetzt weniger zähflüssig. Der Wagen mit den vier Verwundeten fuhr die ganze Nacht durch.
Am Morgen blieb er in Viterbo liegen.
Bruno suchte nach einem Arzt, der Oberleutnant Sollfrei die zweite Penicillin-Spritze verabreichen konnte. Sein Zustand hatte sich erheblich gebessert, wie der Mediziner feststellte, als er den Verband wechselte. Der Gorilla wollte Sprit organisieren. Nach einer halben Stunde kam er mit zwei vollen Kanistern zurück.
»Geklaut?« fragte Bruno.
»Halt den Mund!« erwiderte Kopetzky. »Der Hehler ist schlimmer als der Stehler.«
Der Himmel war bedeckt, die Jabo-Plage heute weniger schlimm. Vielleicht feierten auch die Piloten die Eroberung Roms. Zwei Tage ließ General Clark seinen Einheiten Zeit dazu. Dann lief die Offensive wieder an. Durch die versäumten achtundvierzig Stunden aber war es der aufgeriebenen 14. Armee gelungen, sich mit der weiter südlich liegenden 10. Armee zu vereinen. Es gab wieder eine durchgehende deutsche Verteidigungsfront, die halbwegs geordnet zurückwich. Die Chance der Alliierten, in einer großen Kesselschlacht den Widerstand bis zu den Alpen endgültig zu brechen, war vertan. Durch die Invasion im Westen wurde Italien zu einem Neben-Kriegsschauplatz. Der erbitterte Clark mußte zudem zwei seiner besten Divisionen abtreten. Trotzdem schaffte die 5. US-Armee in vierzehn Tagen 140 Kilometer Geländegewinn. Am 9. Juni fiel Viterbo, am 10. Montefiascone und am 14. Aquàpendente. Jetzt galten auch schon Grosseto, Foligno, Perugia und die südlich des Trasimenischen Sees aufgebaute Notverteidigungslinie als bedroht. Das Quartett aus Rom, Panizza und Co. war wiederholt zwischen die Fronten geraten. Die vier Verwundeten hatten ein paar Mal versucht, in Lazaretten unterzukommen, aber sie wurden in den überfüllten Krankenstationen nur ambulant behandelt und dann weitergeschickt. Ihre Marschpapiere lauteten auf Siena, und die Militär-Bürokratie war noch immer der stabilste Teil der deutschen Verteidigung.
Es gab immer wieder Überraschungsangriffe, Stellungswechsel in letzter Minute. Kurz vor Siena ließ die vier Verwundeten ein
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