Pink Christmas (German Edition)
beiden Bässe hätten sich sonst bestimmt wie dröhnende Traktoren angehört.
Übrigens war Stange in jeder Runde der Gewinner.
Dieses Mal nimmt er den Fahrstuhl.
Wer in seinem Alter kann noch 48 Stufen nach oben tigern? Er hatte sie vorgestern gezählt. Vierzig hatte er geschafft. Mein Gott, hat er gehechelt. Das Herz machte schlapp. Die letzten acht, das war zuviel.
Als sich die automatische Tür schließen will, greift eine Hand von außen dazwischen.
„Der Herr Maschmann!”, sagt Stange überrascht, grinst aber seinen Mitspieler an. Dieser schlängelt sich durch die offene Tür, die sich darauf schließt.
„Die Weiber waren richtig sauer!”, sagt Maschmann.
„Weiß nicht!”, antwortet er unwirsch, „außerdem wechselt alles im Leben!”, gibt er obendrein zu bedenken.
„Oh, ein ungeduldiger Philosoph”, presst Maschmann durch seine Lippen und zwinkert ihm zu, „gefällt mir trotzdem”, schiebt er nach.
Stange schaut auf die wechselnd aufleuchtenden Etagenknöpfe.
„Ach, ich hätte im dritten Stock aussteigen müssen!”
„Ich weiß!”, sagt Maschmann ironisch. „Aber ich hüte mich, anderen einen Rat zu erteilen!”
Stange sieht sein Gegenüber skeptisch an. Muss man sich gleich so in Szene setzen?
„Ein guter Vorsatz!”, lässt er ihn spöttisch wissen. „Jeder ist seines Glückes Schmied!”
„Donnerwetter!”, hört Stange Maschmann grunzen.
Stanges Kehle ist trocken. Die Worte des Jüngeren kleben noch in seinen Ohren.
„Endlich jemand, der Köpfchen hat, oder?”, murmelt Maschmann süffisant.
Was soll das denn heißen? Was wird er daraus ableiten? Hat er sich vielleicht sogar im Internet über ihn informiert? Seine Homepage hat Stange nicht entfernen lassen. Warum sollte er auch, das Leben ging ja weiter … Oder hat jemand in der Verwaltung geplaudert? Seinen Lebenslauf herumgereicht? Quatsch!
Ihm ist nicht wohl. Wenn Maschmann etwas über ihn weiß, dann auch über andere. Das könnte zu Verwicklungen führen.
Wie froh er ist, dass Gedanken noch frei sind. Von Gefühlen ganz zu schweigen. Maschmann würde seine Empfindungen auch ins Lächerliche ziehen. Nicht mal sein Sohn war in der Lage, seine seelischen Schmerzen nachzuempfinden, wie schwer er sich mit der Trauer tat, wie ihn Erschütterungen durcheinander wirbelten und Freude ihn glücklich machte.
Sie passieren gerade den 6. Flur.
Wer weiter oben wohnt, hat die größeren Wohnungen, das ist ihm bekannt. Wahrscheinlich ist Maschmanns Frau bettlägerig. Eigentlich sieht er (immer noch?) eher wie ein Playboy aus, der unverheiratet ist. Playboy? Nein, diese Überlegungen sind abstrus. Maschmann ist ein Gentleman.
„Ich wollte mein ganzes Leben hoch hinaus”, lässt ihn dieser (nach Stanges gedanklichem Exkurs) aus heiterem Himmel wissen, „ein Gipfelstürmer sein!”
Das hat Stange sich gleich gedacht … doch Playboy …
Wie verschmitzt Maschmann lächelt, wie seine Augen glänzen, was steckt dahinter? Was er wohl gemeint hat? Gipfelstürmer …
Man sollte ihn besser fragen: Meinten Sie vielleicht Zipfelstürmer? Stange lässt es.
„Waren Sie’s denn?”, fragt er, nicht ohne Hintergedanken.
Seine höhnische Miene spiegelt sich im Glas der Querwand wider. Die nach unten gewölbten Lippen sind wenig einladend. Aber sollten sie ’s?
„Worin?”
„Sieh einer an, der Herr Stange ist nicht nur Philosoph, sondern auch spitzfindig. Eine gute Frage, ich beantworte sie Ihnen in meinem Domizil.”
Er habe ganz oben eine Wohnung. Drei Zimmer. Zu viel, zu groß, meint er, seit seine Schwester eingeschlafen ist. Sie hätte ein Schlafzimmer gehabt, er habe eins. Das Wohnzimmer benutzte man gemeinsam. Es gäbe in allen Räumen Blicke aufs Wasser, sagt Maschmann stolz. Aber der Preis hierfür sei hoch, flüstert er, als ob noch jemand im Fahrstuhl stände, der das nicht hören sollte. Das weiß doch jeder hier, denkt Stange. Wollte der Mann etwa angeben?
Rätselhaft.
9. Stock. Als sich der Fahrstuhl öffnet, bleibt Maschmann im Eingang stehen, so dass die Tür nicht zuschnellen kann.
„Kommen Sie, hier entlang!”, und er weist in die Richtung seiner Wohnung.
Maschmanns Einladung kommt unvermutet.
Stange antwortet, dass er in keinem Fall folgen werde, Vertrauen müsse man sich erwerben, sagt er. Zutrauen fände man nicht bei der ersten Begegnung.
Maschmann bleibt die Sprache weg, sein Kinn fällt auf die Brust. Das sieht nach Weghören aus …, denkt Stange, auch nicht die feine Art. Aber hätte er nicht
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