Pink Christmas (German Edition)
ihrer letzten Griechenlandreise. Er dreht sich vor dem Spiegel hin und her, sprüht Harley Davidson auf seinen blauen Schal und findet nun, dass er sich sehen lassen kann. Los!
Als er seine Wohnung verlässt, weht ihm ein ziemlicher Wind entgegen.
Das Treppenhaus ist zugig! Wieder diese Nachlässigkeiten des Personals. Irgendwo das Fenster offen gelassen, obwohl draußen 2 Grad minus herrschen!
Stange geht gemächlich die Stufen nach unten.
Man wird schon auf ihn warten.
Da sitzen sie, fünf Personen an einem ovalen Tisch. Auf seiner Oberfläche ein türkischer Tischläufer. Schon stürzt Schwester Vera wieder auf ihn zu. Sie kann es nicht lassen, geht’s Stange durch den Kopf, lässt sich aber nicht beirren.
„Können wir vielleicht doch mit einer Hilfe rechnen? Ich verzeihe Ihnen den Vorfall!”
Sie den Vorfall verzeihen? Stange muss lachen. Angemessen wäre es doch wohl umgekehrt, oder?
Er will schnell umkehren, macht bereits wieder einen Schritt zur Tür.
Eine Frau lässt ihren Arm unter seinen gleiten.
Er erschrickt, wehrt sich aber nicht. Sie drängt ihn zum Spielertisch, hat wohl gemerkt, was er vorhat. Sie duftet himmlisch. Er kennt das Parfum. Victor Hugo. Herb und männlich.
„Ich bin Spielleiterin!”, sagt sie laut.
Stange schaut sie abschätzend an. Sie begreift hoffentlich, als er demonstrativ seine Ohren zuhält.
„Sebald, Frau Sebald.”
Mann, sinniert Stange, offensichtlich hat sie den Wink mit dem Zaunpfahl nicht verstanden. Wie kommt sie darauf, dass er blind sei? Frauen könne er sehr wohl noch erkennen. Als er sie sich näher anschaut, stellt er enttäuscht fest, Frau Sebald ist nicht attraktiv, zwar auch nicht hässlich, aber … ihr fehlt etwas. Vielleicht der Lippenstift?
Sie wendet sich an die fünf Mitspieler:
„Herhören!”
Man schaut hoch. Keine Gegenwehr.
Das kann doch nicht wahr sein, überlegt Stange.
„Ein neuer Bewohner, fast noch ein junger Mann!”, gibt sie lachend von sich, „Herr Stange!”
Junger Mann? Will sie sich anmeiern? Bei wem, etwa bei ihm? Dann verharrt sie einen Augenblick, um die Wirkung ihrer Worte abzuwarten, aber da kommt nur eine Reaktion. Der einzige Mann grinst den Neuankömmling an. Ein bisschen, na, wie soll Stange sagen, überheblich.
„Seine geliebte Frau ist letzten Monat verstorben!”
Eine Lüge. Warum Unwahrheiten herumposaunen? Wollte sie mit der Schwindelei mehr Mitleid hervorrufen? Sollte er die Wahrheit verkünden? Sie bloßstellen? Dann fällt ihm ein, dass er selbst mit einer Schwindelei ins Seniorenheim gekommen ist.
Es gibt keine Anteilnahme an der Enthüllung. Wie sollte es auch? Teilen nicht alle die gleichen Schicksale? Dennoch ist Stange enttäuscht. Schließlich war der Vorfall erst kürzlich.
Frau Sebald stellt an jeden Platz ein Glas. Fabelhaft. Mit sicherem Instinkt wählt sie Mineralwasser aus. Wieso fragt sie nicht nach den Wünschen ihrer Gäste? Dann nennt sie die Namen der Damen und des Mitspielers.
Gebongt denkt Stange. Links rein ins Ohr, rechts raus. Man muss sich keine merken, allein die verbiesterten Mienen. Dennoch bleiben ihm zwei Personen im Gedächtnis haften: Frau Wegerich, rechts von ihm, und links Herr Maschmann.
Ihre Merkmale? Sie fallen sofort ins Auge.
Frau Wegerich: Ihr Gesicht ist eine Falte. Plissee vergleichbar. Na, und ihre Lippen, dünn wie ein Strohhalm, eingebettet zwischen zwei üppigen Fleischröllchen.
Maschmann: Ansehnlich, tatsächlich. Muntere Visage. Wohl jünger als Stange. Gutes Aussehen, gepflegt, aber das Auffälligste, eine Warze unterhalb des Kinns. Und was für eine! Franz Liszt hatte sieben, geht’s Stange durch den Kopf. Dabei lächelt er schadenfroh.
Er nickt allen zu. Niemand verliert ein Wort. Nur seltsame Geräusche durchbrechen die Stille: Gebisse, die gegeneinander schaben. Stange verspürt plötzlich eine Gänsehaut. Das kann ja heiter werden …
Frau Sebald eröffnet das Spiel: Mensch ärgere dich nicht! Stange hasst es, weil er zu Hause nie gewinnen durfte. Ursache? Sein Enkel quakte nur herum, wenn er verlor. Also ließ man ihn siegen. Außerdem schummeln die meisten Menschen und Stange meint, er könne das nicht. Das wurmte ihn.
Bis zum Ende der Spiele Konzentration und Stille. Als sich die Gesellschaft auflöst, stimmt Frau Sebald das Lied Auf Wiedersehen an. Gesang pumpe Sauerstoff in die Lungen, meinte sie. Obendrein juble der Kreislauf! Komisch, wie sie redet, denkt Stange. Ihre Sopranstimme erdrückt alle anderen Töne. Gott sei Dank. Die
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