Pink Christmas (German Edition)
auch so reagiert, würde man ihn so belehren? Was soll’s? Adrian war bei fremden Menschen stets zurückhaltend. Er sagte, diese müssen erst beweisen, dass sie es ehrlich mit einem meinen. Damit wäre er immer gut gefahren. In jedem Fall ein Versuch wert, geht es Stange durch den Kopf. Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wieder solche Weisheit.
Maschmanns üppiger Haarschopf rutscht Stange beinahe ins Gesicht. Dieser muss grinsen. Er findet sogar schäbig.
Schadenfreude belebt, eine seiner besten Grundsätze. Die kleinen Freuden des Lebens … Jedenfalls mag Stange sie. Er behauptet allerdings, nur in Grenzen, was Adrian ihm nie geglaubt hat. So war zwischen den beiden des Öfteren Streit vorprogrammiert. Stange hat an Maschmanns Wirbel eine dünnere Stelle, ja, sogar eine haarlose Lücke festgestellt.
Jeder altert …
Er wird plötzlich ernst. Wie ist es möglich, fragt er sich, und das hat er schon oft genug getan, warum seine Stimmung mit der Entdeckung fremder Makel steigt? Er erinnert sich an eine Fabel Äsops , die genau diesen Sachverhalt beschreibt.
„Danke für das Angebot”, nuschelt er, als Maschmann sich zu seiner Wohnung aufmacht. Dann setzt Stange den Fahrstuhl in Bewegung. Er blickt an die Decke, nimmt zwei Lautsprecher wahr. Warum eigentlich keine Musik? Damals, als er während der Studentenzeit den Aufzug bei Karstadt bediente, dudelte es den ganzen Tag. Musik muntert auf, hatte man ihn wissen lassen. Regt an…
Vorm Halt hoppelt die Box beträchtlich, die Wände zittern.
3. Stock.
Fast lautlos öffnet sich die Tür. Ein Schritt nach draußen. Das muss schnell gehen.
Stange blickt sich um. Irgendwas hat sich verändert. Aber was? Seine Kehle ist immer noch trocken. Wahrscheinlich von der schlechten Luft da drinnen. Er muss sich räuspern. Und das so laut, dass das ganze Haus in Mitleidenschaft gezogen wird.
Es riecht nach Zigarettenrauch.
Nun muss er auch noch husten. Rauchen ist im Haus verboten, ärgert er sich.
Seine Augen bleiben auf dem Etagentisch vor der Treppe haften. Da steht jetzt tatsächlich ein bauchiges Gefäß voller schrecklicher Kunstblumen …(wäre es Cézannes Delfter Vase , dann hätte er sogar den Strauß akzeptiert). Zusätzlich hat man drei Tannenzweige dazwischen drapiert, eher ohne Sorgfalt gesteckt. Sie sind zu lang, staksig, außerdem fast schon kahl. Weihnachtliches Flair … Dass ich nicht lache . Er täte es, wäre ihm nicht zum Kotzen zu Mute.
Wer hat dieses lächerliche Gestrüpp hierhin gestellt?
Mädchen aus der Verwaltung? Frau Sebald? Nein, was sollte sie hier?
Schwester Vera? Sie versorgt dieses Haus. Sie qualmt auch. Wollte sie sich rächen, weil er ihre Pläne durcheinander gebracht hat?, fragt Stange sich, gleichzeitig fällt ihm der Baum ein, den er mit anderen aufstellen sollte.
Kanadische Tannen sind hoch gewachsen, edel. Verbreitet aber ein solcher Baum noch Feierlichkeit, vielleicht Erhabenheit?
Widerlich, in jeder Stadt finden sie sich auf Marktplätzen, aufgestellt von der Gemeinde, in Stadtseen und in Anlagen. Hunderte von Kerzen an den Zweigen. Oft sogar bunte. Jahrmarkt lässt grüßen, dazu Weihnachtsmänner, die sich bereits Monate vorher in den Kaufhäusern anbiedern, ganz zu schweigen von den chinesischen Plastikbäumen, den nachempfundenen Tännchen mit stumpfen Nadeln. Und die Gestecke in den Blumenläden. Sie sehen so aus, wie die seiner Schwiegertochter. Zu Weihnachten entfaltet Hanna eine schreckliche Aktivität. Alle Welt wird mit fröhlichen Gestecken bombardiert, wie sie es nennt: Gebinde auf Baumscheiben, mit aufgespießten Äpfeln und einer roten Kerze. Solche Gebräuche und die Unmengen an Weihnachtsschmuck verunglimpfen das Weihnachtsfest. Adrian hat immer behauptet, der Weihnachtsbaum sei für Familien gedacht, für Zuhause. Persönlich geputzt strahlt er festlich, weil er die Geburt Jesu ankündigt.
Wie schafft es sein Sohn bloß mit seiner Frau?
Morgen früh wird der Strauß im Müllsack landen! Der Gedanke lässt Stanges Gesicht erstrahlen. Wenn er anderen eins auswischen kann … Kleine Sticheleien würzen das Dasein. Schwester Vera wird sauer sein.
Den Verantwortlichen der Residenz wird er begründen, weshalb die Absage sein musste. Er habe nichts zu verlieren, wird er ihnen sagen. Er sei kein Miesmacher. Im Gegenteil. Er sei ein Genießer. Immer noch. Was für ein Glück, denkt er. Allerdings hat ihn dieses zurzeit verlassen. Und hier wird es sicher völlig begraben, wenn nicht irgendetwas passiert,
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