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Pink Christmas (German Edition)

Pink Christmas (German Edition)

Titel: Pink Christmas (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justin C. Skylark
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und gleichzeitig die sehnige Geschmeidigkeit darunter.
    Er zögerte kurz, doch dann kletterte er von seinem wehrlosen Opfer wieder herunter und machte sich daran, den Körper des Fremden umzudrehen. Noch immer schien von dem Mann keinerlei Gefahr auszugehen. Er hatte die Augen geschlossen, den Mund dagegen geöffnet. Das Gesicht war bleich. Erst jetzt, da der Hals nach hinten überstreckt war, konnte Tschunka das schwache Pulsieren der Halsschlagader erkennen. Der Mann lebte, wenn auch nur knapp, doch schien er keinerlei Verletzungen an seinem ziemlich ausgezehrten Körper zu haben. Mit einem Mal war es Tschunka klar: der Fremde war völlig entkräftet und kurz vor dem Erfrieren.
    Für einen Augenblick war Tschunka sich darüber unschlüssig, was er tun sollte. Die Situation war grotesk: ein Indianerbursche, kaum dem Kindesalter entschlüpft und noch nicht ganz zum Manne geworden, der die Einsamkeit in der weiten Prärie suchte, um sich selbst zu finden, stieß während seines Mannbarkeitsrituals auf einen bewusst- und stammeslosen fremden Krieger, von dem nicht mehr Gefahr ausging als von einer halb vertrockneten Fliege. Es war keine Mutprobe und dennoch ein großes Abenteuer, das er zu bestehen hatte: sein Handeln würde über Leben oder Tod dieses Fremden entscheiden.
    In der Sekunde, in der sich Tschunka dessen bewusst wurde, hatte er sich auch schon entschieden. Rasch kniete er sich hin und schob seine Oberschenkel stützend unter den Kopf des Fremden, dessen Stirnband aus Hirschleder den Haarschopf nicht länger zusammenhielt. Augenblicklich schmiegte sich das nussbraune, lange Haar weich an Tschunkas Haut. Er spürte, wie ein Teil von ihm diese sanfte Liebkosung heimlich genoss, doch er zwang sich, diesen Genuss zu ignorieren. Stattdessen griff er an seinen Hals und zog sich das Lederband mit dem Wasserbeutel über den Kopf. Seine Körperwärme hatte verhindert, dass das Wasser darin gefroren war, und es außerdem auf einer trinkbaren Temperatur gehalten. Rasch löste er den Stöpsel und führte den ledernen Beutel an die Lippen des Fremden.
    Sein Wasservorrat war begrenzt. Das Ritual schrieb vor, den Körper nur einen Tag mit Nahrung und höchstens zwei weitere mit wenigen Schlucken Wasser zu erquicken. Das fehlende Wasser dann durch Schnee zu ersetzen, kam nicht in Frage, denn der war einerseits viel zu kalt für den geschwächten Körper und würde andererseits einen Betrug im Ritual darstellen, der nicht wieder wettzumachen war. Es lag dann in Manitus Hand, dem suchenden Krieger entweder den Weg zu weisen, oder aber ihn auf ewig im Irrsinn oder der Kälte gefangen zu halten. Indem Tschunka seinen Wasservorrat mit dem Fremden teilte, verkürzte er seine eigenen Überlebenschancen rapide. Es war nicht abzusehen, wann es dem großen Manitu gefallen würde, ihn selbst wieder nach Hause zu führen.
    Ohnehin war es sehr ungewöhnlich, dass Tschunkas Mannbarkeitsritual in diese Zeit der Schneestürme und Winterfröste fiel. Normalerweise begaben sich die jungen Männer seines Stammes in den warmen Sommermonaten auf die Suche nach ihrem Selbst, wenn es heiß und trocken war, und die flirrende Hitze der Prärie einem die Sinne raubte. Doch Tschunka hatte den Ruf Manitus ausgerechnet jetzt verspürt, wenige Tage vor der Wintersonnenwende, und der Medizinmann der Sippe hatte ihn geheißen zu gehen, auch wenn der beißende Frost der Nacht und die lange, dunkle Einsamkeit der Morgen- und Abendstunden die Gefahr für sein Leben verdoppelten. Offenbar war es eine besonders schwere Prüfung, die Manitu dem Häuptlingssohn aufzuerlegen gedacht hatte.
    Mit einem leichten Kopfschütteln holte Tschunka seine Gedanken aus diesem Sinnen zurück und richtete sie auf den Mann vor sich. Ihm war klar, dass das, was er tat, auch aus einem anderen Grund äußerst fraglich war und gefährlich obendrein. Wer wusste schon, ob er hier nicht gerade einer Hyäne das Leben rettete, die später mit ihrem Rudel zurückkehren und dann den Untergang seiner eigenen Sippe herbeiführen würde? Doch irgendetwas in Tschunka sagte ihm, dass vor ihm kein Vorbote einer hinterhältigen Räuberschar lag, sondern ein stolzer, einsamer Krieger. Und was auch immer geschehen würde: mit seiner Fürsorge band Tschunka den fremden Krieger an sich wie ein Kind an die Mutterbrust. Denn mit seinem Wasser spendete auch er dem anderen die Lebenskraft. Und eine Lebensschuld war eine Bürde, die man nicht so ohne weiteres ablegen konnte. Sie war das uralte Pfand,

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