Pink Hotel
aus, und die Hitze kroch beißend über unsere kühle
Haut. Er machte es mit geschlossenen Augen, als würde ihn mein Anblick aus dem
Konzept bringen, als wäre ich ein feuchter Traum aus seinen Jugendtagen.
[85] 10
Ich schlief nicht gern mit jemand anderem im selben Bett,
schon gar nicht in dessen Armen. Allein der Gedanke daran, bei so viel Nähe
einzuschlafen, ließ mich so bewusst auf meinen Atem achten, dass Einatmen
ähnlich kompliziert wurde, wie einen Schlagzeugrhythmus zu halten. Selbst wenn
ich mich wohl fühlte, hatte ich ständig das Bedürfnis, mich umzudrehen oder mit
den Knöcheln zu knacken, und wenn ich dann endlich einschlief, hatte ich mich
mit Sicherheit aus sämtlichen Zudecken gewühlt. Mittlerweile ist schlafen kein
solches Problem mehr. Aber in jener Nacht nickte August einfach ein, kurz
nachdem er gekommen war, während ich wach lag und wünschte, ich wäre nicht so
nüchtern. Im selben Bett mit jemandem zu schlafen kommt mir intimer vor als
Sex. Schlaf war in meinem Leben immer schon eine Art Dämon gewesen –
verführerisch und heimtückisch. Früher hab ich im Schlaf geredet und sogar mit
Sachen um mich geworfen. Beim Aufwachen lag ich dann verkehrt herum im Bett,
die Kissen auf dem Boden und mein Wecker in der Sockenschublade. In anderen
Jahrhunderten oder anderen Ländern hätte man vielleicht geglaubt, ich sei von
bösen Geistern besessen. In der Nachttischschublade bewahrte ich [86] zudem ganze
Batterien von Hustensaftfläschchen für die Nacht auf; ich schluckte die
kodeinhaltige Flüssigkeit löffelweise, um einschlafen zu können. Andernfalls
begann meine Phantasie ungehindert Geschichten zu erfinden, die sich mir dann
entzogen und sich, wenn ich nicht aufpasste, zu schrecklichen Alpträumen
entwickelten, die ich noch weniger kontrollieren konnte. Meine Phantasie war
mir eine Last, und noch mehr, dass ich sie nicht im Griff hatte. Mit zwölf stellte
ich dann fest, dass die Geschichten in meinem Kopf besser waren als die
Wirklichkeit, weshalb ich fast anderthalb Jahre meines Lebens so viel wie
möglich schlief, ohne einen einzigen Tropfen Hustensaft mit Kirschgeschmack.
Doch neben August, dem attraktiven August in dem schmalen Bett in
Los Angeles, machte ich kein Auge zu. Ich betrachtete die Schatten, bemüht,
mich möglichst wenig zu bewegen und ihn ja nicht aufzuwecken. In jener Nacht,
das Gesicht zur Wand und mit dem Rücken strategisch eine Schranke zwischen unseren
Körpern errichtend, kamen meine Gedanken nicht zur Ruhe. Ich überlegte, wie dringend
Richard den Koffer wiederhaben wollte und ob David noch betrunken war. Manchmal
kommt es einem so vor, als sei jeder Mensch für ein bestimmtes Alter geboren.
David sollte immer Mitte zwanzig sein. Ich vielleicht fünfzehn. Kindern gesteht
man zu, in ihrer eigenen Welt zu leben. Wenn man das mit der Kommunikation
nicht so gut hinkriegt, ist man ein Versager. In London kannte ich ein paar
Mädchen, die den Eindruck machten, nur die Zeit totzuschlagen, bis sie endlich
fünfunddreißig wurden. Sie hatten die [87] Haare straff zu Pferdeschwänzen
zurückgebunden und trugen tiefsitzende Hüftjeans. Ihre Augen waren noch flinker
als ihre spitzen Zungen, während sie auf Geländern hockten, kifften und auf
etwas warteten, das nie eintraf. Man konnte förmlich schon die Falten auf ihrer
Haut sehen, während sie Rauch auspusteten, begleitet von einem Schwall kehliger
Flüche. Zwar kamen sie hin und wieder auf Jungenfang zum Fußballplatz, mit mir
aber redeten sie nicht. Oder die pausbäckigen kleinen Jungs mit fettigen
Haaren, Augen wie Stecknadelköpfen und viel zu großen Fußballtrikots, die
eigentlich neunzehn sein müssten und danach ihr Leben lang immer irgendwie
albern wirken würden. Gelegentlich sahen wir eine Frau mit hängenden Schultern
auf dem Rückweg vom Spätkauf am Fußballplatz vorbeikommen, und es war eindeutig,
dass sie als Zweiundsiebzigjährige auf die Welt gekommen war: Wenn ihr Körper
erst aufgeholt hätte, würde sie als schön gelten.
In diesem Sinne barg Augusts Gesicht noch das ganze wechselhafte
Mienenspiel eines überschwenglichen Kindes, wodurch die Lachfältchen um seinen
Mund erst auffielen. Mit siebzehn musste er unschlagbar gut ausgesehen haben,
doch jetzt hatten sich Furchen in seine Stirn gegraben, und ein Höcker
zeichnete seine Nase dort, wo sie einmal gebrochen war. Ich wollte eine
Zeichnung von seinem Körper machen, während er schlief – so wie auf den Karten
in Lilys
Weitere Kostenlose Bücher