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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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verbrachte, zählte
in Kalifornien zu den heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. »Dürre
für Los Angeles erwartet«, meldeten die Nachrichtensender auf den kleinen
Fernsehern vorn im Bus, als ich von Augusts Wohnung zum Hostel zurückfuhr.
»Hitzewelle bedroht kalifornisches Stromnetz!« – »Waldbrandgefahr!« Die Geräte
der Klimaanlage im Serena Hostel ächzten und tropften schaumige Pfützen auf die
Holzdielen, während sich im Schatten auf dem Fenstersims neben meinem
Doppelstockbett Tauben zusammendrängten. Am Sunset Boulevard pickten Schwärme
von Möwen im Dunst umgekippter Müllsäcke. Vielleicht brachte die Hitze sie
durcheinander, und sie ließen sich von trügerischen kochend heißen
Luftströmungen in die falsche Richtung tragen, wo sie in Panik auf glühendem
Beton landeten statt auf Sand.
    Das Café neben Davids Firma war aufdringlich eingerichtet, mit
bunten Tischen und schlechter Kunst an den Wänden. Die meisten Gäste arbeiteten
mit aufgesetzten Kopfhörern, während sie ihre Soja-Lattes und schwarzen Kaffees
tranken. Weil ich Tag für Tag dieselben Gesichter sah, dieselben Macs und
Jura-Lehrbücher für [98]  Fortgeschrittene, kam es mir bald nicht mehr seltsam
vor, wenn ich am Morgen eintraf und bis zur Schließzeit blieb. Leute in Anzügen
hielten hier ihre Meetings ab, und ich belauschte verängstigt blickende
Produzenten, die stotternd mit vom Kaffee angeregtem Selbstvertrauen ihre Ideen
für Quizsendungen oder Sitcoms vortrugen. Los Angeles ist wohl die einzige
Stadt der Welt, in der man im Café zuhören kann, wie jemand sagt: »Nein, nein,
das verstehen Sie falsch – die radioaktiven Affen sind ausgebrochen«, und wie
jemand anderes sein eigenes Leben in Drehbuchsprache analysiert. »Auf bewusster
Ebene liebe ich meine Frau«, erklärte ein Mann seinem Freund, »aber unbewusst
würd ich’s lieber mit meiner Sekretärin treiben. Es kommt mir vor wie ein
echter Wendepunkt im ersten Akt unserer Ehe, verstehst du?« Feierlich nickten
sich die Männer zu.
    Eine Schulfreundin von mir beklagte sich immer, wie lästig es sei,
dass eine Frau nicht allein in einem Café sitzen könne, ohne dass Männer
annahmen, sie suche Gesellschaft, aber mich sprach niemand an, und ich fing
auch keine Blicke auf. Zufrieden las ich in Lilys schwülem Taschenbuch, wie die
Dirne Shamhat das Tier Enkidu bat, in ihrer Heimatstadt Uruk einen Halbgott
namens Gilgamesch zu bekämpfen. Gebannt verfolgte ich die Liebesabenteuer jener
Helden, bis David endlich, nach knapp drei Tagen Leben im Café, das nächste Mal
hereinschneite und sich einen doppelten Espresso bestellte.
    Ich schaute auf und beobachtete, wie er seinen Kaffee bezahlte.
Während er auf das Getränk wartete, sah [99]  er sich im Raum um und lächelte
flüchtig zwei junge Paparazzi am Nebentisch an, die zurückwinkten. Eine
Blondine blickte kurz von ihrem Buch auf, Die Arbeit des
Schauspielers an sich selbst und an der Rolle von Stanislawski, und zu
David hinüber. Er registrierte sie, nahm seinen Pappbecher vom Tresen und
kippte an der Anrichte Unmengen von Zucker hinein. Dabei schaute er zwar in
meine Richtung, allerdings unmittelbar an mir vorbei auf die Wand. Anstatt zu
ihm hinüberzugehen oder seinen Namen zu rufen, um ihn auf mich aufmerksam zu
machen, stieß ich unauffällig mit dem Ellbogen gegen meine Tasse. Sie zerbrach
auf dem Boden in drei Teile, und der Tee spritzte in alle Richtungen – alle
Gäste im Café drehten sich nach mir um. Ich tat, als wüsste ich nicht, dass
David da war, während ich mich entschuldigte und der Kellnerin half, feuchtes
Porzellan von meinen Füßen zu klauben. Erst als sie den Tee aufwischte, sah ich
mich um und bemerkte, wie David mich endlich stirnrunzelnd betrachtete.
Vielleicht erinnerte er sich gar nicht mehr an mich. Mein Herz raste wie wild.
Offenbar konnte er mich zuerst überhaupt nicht einordnen, aber ich zog in
gespielter Überraschung die Augenbrauen hoch und winkte ihm zögerlich lächelnd
zu.
    »Das gibt’s doch gar nicht«, sagte er und lächelte ungläubig. Dann
schwieg er eine ganze Weile, wie um sich zu vergewissern. »Die Grabräuberin,
stimmt’s? Bist du nicht das Mädchen vom Strand?«
    Weil ich nicht recht wusste, was ich sagen sollte, zog ich
stattdessen die Knie an den Körper, nur um sie [100]  gleich wieder
runterzustellen. Ich schlug Lilys Buch zu und packte es weg. Mein Mund war
trocken.
    »Scheint so«, mehr fiel mir nicht ein.
    »Du siehst anders aus. Weißt du noch,

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