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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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Foto
sieht man nicht viel mehr als graublaue Mauern, eine Tür und das verstaubte
Schild. Seitdem ich den Koffer geklaut hatte, ließ mich der Gedanke nicht mehr [134]  los,
dass ich eines Tages vielleicht zum Laguna Highway fahren würde, der Straße,
auf der sie ihren Unfall gehabt hatte. Ich könnte eine Blume oder irgendetwas
dort hinlegen und mich von ihr verabschieden. In Los Angeles gibt es mehr
Autowerkstätten als Starbucks-Filialen und mexikanische Restaurants. An jeder
zweiten Straßenecke war eine: die flachen lagerhallenartigen Fassaden
zurückversetzt hinter Drahtzäunen und Wällen aus Asphalt oder Beton.
    Den ganzen Tag nahm ich willkürlich Busse, immer den, der zuerst
kam, und stieg wieder aus, wenn ich eine Autowerkstatt sah. Üblicherweise lagen
sie an großen Kreuzungen, wo sie »Gabelfederung«, »Stoßdämpfer« und
»Elektroarbeiten« anpriesen. Meine Hoffnung, irgendwo auf ein Schild mit der
Aufschrift »Eagle Motorcycles« zu stoßen, erfüllte sich natürlich nicht, und
wie sich herausstellte, hatte niemand je auch nur den Namen gehört.
    »Sieht nach ’ner Spezialanfertigung aus«, sagte ein gutaussehender
Mann in blauem Overall, als er das Foto von Lily betrachtete. Im Schaufenster
standen wuchtige Motorräder, aufgereiht wie eine Roboterarmee, deren
Zyklopenaugen in der Sonne blitzten. Diese Ungetüme sahen ganz anders aus als
die Maschine, neben der Lily auf dem Foto posierte. Sie waren viel größer, mit
Motoren wie Bierbäuchen. Die hier waren Science-Fiction-Wesen, Zeitmaschinen,
Panzer. Der schicke Motorradverkäufer im Blaumann rückte seine schmalrandige
Brille zurecht und sah sich mit zusammengekniffenen Augen das Foto meiner
Mutter mit ihrem Bike an.
    [135]  »Offenbar aus gebrauchten Einzelteilen zusammengesetzt«, sagte
er. »Aber gut gemacht. Auf jeden Fall. Der Rahmen ist offenbar von einem
Ariel-Motorrad; eventuell auch der Motor. Aber die Räder sind anders,
vielleicht von einer Harley, das kann ich nicht erkennen. Das Foto ist zu
klein.« Er gab es mir zurück.
    »Sie wissen nicht, wo ich so eins finden würde? Oder wo es her sein
könnte?«
    »Hm-m«, verneinte er kopfschüttelnd. »Wie gesagt, bestimmt eine
Spezialanfertigung.«
    »Und der Frau auf dem Foto sind Sie noch
nie begegnet?«
    »Hm-m«, machte er wieder.
    Die Mechaniker und Verkäufer in anderen Autowerkstätten sagten alle
das Gleiche, während sie prüfend das Foto betrachteten und über seinen Ursprung
die Schultern zuckten: Noch nie von gehört. Nette Maschine. Keine Ahnung.
    »Schönes Bike allerdings«, sagte einer. Dabei schien er eher Lilys
Beine als das Motorrad zu betrachten. Auf dem Foto trug sie einen kurzen
Wildlederrock und beige hochhackige Schuhe, ihre Beine und Schuhe waren von
derselben Farbe wie der Sand zu ihren Füßen. Weder Himmel noch irgendwelche
umliegenden Gebäude waren auf dem Bild zu sehen.
    »Ich kann Ihnen nicht weiterhelfen«, ergänzte er, ging einen anderen
Kunden bedienen und überließ mich dem Geruch von Motorenöl und geschweißtem
Metall, während ich die vollgepackten Regale musterte: Lenkergriffe,
Ölbehältnisse und Mosaike aus Außenspiegeln. An [136]  diesem Vormittag war ich in
fünf Werkstätten, aber niemand wusste etwas über das Motorrad zu sagen, außer
dass es keine ihnen bekannte Marke war. Plötzlich schoss mir die Vorstellung –
nicht mehr als ein flüchtiger Gedanke, kein richtiges Bild – von verbeultem
Metall durch den Kopf: Lilys Unfall. Ich musste unwillkürlich blinzeln.
    Eine Stunde später hockte ich mit angezogenen Knien auf einer
steinernen Bank an der Bushaltestelle und betrachtete eine Zeitlang eine von
Lilys Straßenkarten, dachte nach und ließ die rot-gelben Busse durch die
tiefhängenden Smogwolken vorüberbrausen. Ich zog die wächserne Marilyn Monroe
aus dem Rucksack und stellte sie auf den Gehweg. Eine junge Frau im Bikini ging
an mir vorbei, und ich sah noch einmal auf die Karte, um herauszufinden, wie
nahe ich am Meer war. Die wächserne Marilyn sah traurig aus in meiner
verschwitzten Hand, der Geruch von Wachs und künstlichem Lavendel. Den Koffer hatte
ich nicht dabei und auch nicht mehr vor, ihn Richard zurückzugeben, wenn es
sich vermeiden ließ. Doch ich war neugierig auf ihn und das Hotel. Solange ich
aufpasste, würde Richard mich gar nicht bemerken. Aber selbst dann würde er
mich wahrscheinlich von dem Sekundenbruchteil, den wir uns während der Totenwache
in Lilys Schlafzimmer in die Augen gesehen hatten, nicht

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