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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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Ein grobschlächtiges Gesicht auf einem Hals, so dick wie meine
Taille, in der Nase ein Goldpiercing. Ich hielt den Atem an und verspürte das
leise innere Glühen, das ein plötzlicher Adrenalinstoß bewirkte. Langsam kehrte
ich dem grünen Auto den Rücken – vermutlich ein Volvo – und lief in die Gegenrichtung,
vorbei am Eingang des Serena Hostel zum Schnapsladen an der Ecke, doch der
Fahrer des grünen Volvo war schon ausgestiegen und heftete sich an meine
Fersen.
    Die nächsten Sekunden rasten dahin. Als ich um die Ecke gebogen war,
hatte mich der Mann bereits eingeholt. Vor einem mit Bougainvillea überwucherten
blauen Mietshaus legte er mir eine Hand auf die bloße Schulter, um mich am
Weitergehen zu hindern.
    Ich blieb stehen. Kämpfen hatte für mich immer etwas Intimes. Lily
hatte Körperkontakt mit mir weitgehend vermieden, aber auch Dad und Oma berührten
mich kaum, als sie dann weg war. Stattdessen verbrachten meine Freundin Mary
und ich sehr viel Zeit damit, uns auf dem Fußballplatz mit anderen zu raufen.
    »Richard will nur mit dir reden, Kleine«, sagte der Mann mit dem
Nasenpiercing. Seine Hand fühlte sich kälter an als erwartet, vermutlich hatte
er Stunden in seinem klimatisierten Auto verbracht, bevor er mich entdeckte.
Ich hätte mich losreißen und wegrennen können, wäre aber in Lilys albernen
roten Stilettos nicht allzu [144]  weit gekommen, so dass er mich sicher erwischt
hätte. Also blieb ich, wo ich war, und versuchte, mir nicht auf der Lippe
herumzubeißen.
    »Sind Sie mir neulich abends von der Kneipe bis hierher gefolgt?«,
fragte ich über die Schulter. Die kalte Hand des Mannes kroch von ihrem Platz
auf meiner Schulter zu meinem Handgelenk herab. Es tat zwar nicht weh, als er
mir den Arm hinter den Rücken verdrehte, aber meine Muskeln verspannten sich,
und wir rührten uns beide nicht vom Fleck. Ich zitterte.
    »Also, wo ist der Koffer?«, wollte er wissen.
    »Hab ich letzte Woche in der Innenstadt in einen Müllcontainer
geworfen«, schwindelte ich. »Ich will Lilys Krempel nicht. Wo ist Richard? Ich
war gestern am Hotel und hab nach ihm gesucht, aber dort war alles
verbarrikadiert. Er geht nicht ans Telefon und nichts.«
    »Ich bring dich zu ihm«, sagte der Mann und drehte mich in Richtung
Hosteleingang und grünes Auto. Meinen Arm hielt er weiter hinter meinem Rücken
fest.
    »Ich tu dir nichts«, versicherte er und stieß mich mit der Schulter
vorwärts. Ich lehnte mich zurück, um ihn daran zu hindern, aber er brauchte nur
kurz an meinem Arm zu reißen, und schon gab ich nach und gehorchte dem Körper,
der mich zum Hostel und seinem Auto drängte.
    Obwohl es früh am Abend und noch hell war, griff niemand auf der
Straße ein. Es kam mir vor, als wäre ich im falschen Film. Eine Frau mittleren
Alters ging mit ihren Einkaufstüten vorbei, ohne auch nur kurz innezuhalten.
Ihre sehr blauen Augen sahen mich einen [145]  Moment lang direkt an, dann wich ihr
Blick zur Straße hin aus. Als wir an der Ecke vor dem Schnapsladen ankamen,
fing ich an, mich zu wehren, denn hier gingen immer Leute ein und aus. Ich wand
mich im Griff des Mannes, und er verdrehte mir den Arm noch etwas weiter, aber
es tat nicht weh genug, dass ich aufhörte.
    »Lassen Sie mich los«, sagte ich und begann so heftig gegen seine
Umklammerung anzukämpfen, dass er mir den anderen Arm auch noch hinter den
Rücken drehen musste, um mich festhalten zu können. Allmählich geriet ich in
Panik. Ich sah sein grünes Auto zwanzig Meter vor mir am Bordstein stehen, doch
wie sehr ich mich auch wand und wehrte, er packte nur noch fester zu. Niemand
im Schnapsladen schaute in meine Richtung, keiner kam raus.
    »Loslassen, verdammt«, schrie ich und trat nach hinten gegen ihn aus
wie ein Pferd. Ich verfehlte zwar sein Knie, erwischte aber mit Lilys hohen
Absätzen die Zehen, und er lockerte den Griff gerade lange genug, dass ich mich
losreißen konnte.
    Ich schaffte es, drei Schritte von seinem Auto weg zu machen. Gerade
als er meine Schulter wieder zu fassen bekam, tauchte zweihundert Meter vor uns
an der anderen Straßenecke David auf.
    »David!«, rief ich. Er war mit gesenktem Blick herangekommen, doch
jetzt schaute er auf. Sofort wurde aus seinem hinkenden Gangsterschritt ein
torkelnder Lauf wie der einer trägen Giraffe. »David!«, rief ich noch einmal,
und ohne Vorwarnung riss mir der Mann mit dem Nasenpiercing den Rucksack von
der Schulter [146]  und ließ meinen Arm los. Die plötzliche Befreiung ließ mich

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