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Pink Hotel

Pink Hotel

Titel: Pink Hotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Stothard
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Kaffeebechern festhielten und uns vom
Kameramann, der mit einer schlafsüchtigen Ausstatterin zusammen war, Pillen
geben ließen. Wir hatten gerade eine Szene gedreht, in der der Hauptdarsteller
sich einen Fisch aus einem Turm übereinandergestapelter Plexiglasbehälter aussuchen
musste. In jedem Behälter schwamm ein tropischer Fisch mit fast identischer
chiffonartiger Schwanzflosse in lächerlich blaugefärbtem Wasser.
    Ich erzählte Sam, dass David sauer auf mich war, doch Sam sagte
nicht viel. Er nahm mich nur kurz in den Arm, zwinkerte mir zu und sagte, in
seinem Bett sei immer Platz für mich. Ich stand mit ihm auf dem Parkplatz, als
plötzlich vor meinen Augen alles verschwamm. [284]  Ich war schon die ganze Nacht erschöpft,
müde und weinerlich gewesen, doch um fünf Uhr morgens fühlte ich mich
hundeelend. Zwei andere – ein Beleuchter und ein Statist – waren in derselben
Nacht mit Lebensmittelvergiftung nach Hause gegangen. Erstaunlich, wie das
ganze Leben von einem einzigen Moment schlechten Timings abhängen konnte,
beispielsweise von schlechtem Pizzabelag bei einem Filmdreh. Ich bemühte mich,
meine Umgebung wieder ins Lot zu kriegen, als stützte ich ein kippendes
Bücherregal. Der flache Himmel, die Betongebäude, die an der Zoohandlung
vorbeisausenden Autos – alles verlor immer mehr die Konturen, und ich hatte das
dringende Bedürfnis, mich hinzulegen, damit meine heiße Wange auf dem
morgendlich kühlen Asphalt ruhen konnte. Sooft ich auch in diesem Sommer geträumt
hatte, ohnmächtig zu werden, nichts bereitete mich darauf vor, tatsächlich das
Bewusstsein zu verlieren.
    »Was ist mit dir?«, fragte Sam und nahm mir den Kaffee aus der Hand.
Mir war speiübel, doch ich hätte es irgendwie geschafft, stehen zu bleiben,
hätte ich nicht so dringend umfallen wollen.
    Ehe ich das Bewusstsein verlor, dachte ich weder an David noch an
Lily oder das Ohnmachtsspiel, sondern an Fische. Als ich klein war, sagte Dad
einmal, er gehe jetzt ins Fischgeschäft. Ich wusste, dass unten in Omas und
Opas Café Fisch auf der Speisekarte stand, doch irgendwie war mir der
Zusammenhang entgangen zwischen dem, was im Kindergarten im Aquarium herumschwamm,
und dem von Panade überzogenen weißen Fleisch, das [285]  wir manchmal von Essig
durchweicht und auf einer Portion gelber Pommes thronend verkauften. Im
Nachhinein ist mir klar, dass wir wahrscheinlich zum Fischmarkt gingen, damit
Dad mit einem Lieferanten reden konnte, aber natürlich dachte ich damals, wir
würden uns einen Zierfisch holen. Ich stellte mir meine eigene Unterwasserwelt
vor, mit Plastikschatztruhen und Algen, die sich im Wasser wiegten, wie in
meinem Kindergarten. Auf dem Weg zum Markt war ich ganz still und brav, auch
noch, als wir durch von Obst und Gemüse flankierte Gänge schritten – Pflaumen,
Äpfel und Körbe mit frischen Erdbeeren. Dann bogen wir um eine Ecke, und
plötzlich roch es seltsam. Vor mir lag ein Mausoleum. Hunderte und Aberhunderte
trüber Augen stierten ins Nichts. Es gab winzige Fischchen, die aus ihren
Kisten quollen, große silbrige Monster, aus deren aufgeschlitzten Bäuchen
dampfendes rosa Fleisch heraushing, mit hässlich offenen Mäulern, Eis und Blut
sabbernd. Jeder einzelne glotzte mich vorwurfsvoll an. Wie so oft in
Menschenmengen war ich hinter Dad zurückgeblieben, weil er so schnell ging,
doch er sah sich noch rechtzeitig um, dass ich ihn einholen und seine Hand
nehmen konnte.
    »Böse Fische«, sagte ich nach einigen gedanklichen Verrenkungen zu
Dad, denn ich kam zu dem Schluss, sie mussten einfach böse sein, weil man sie
getötet hatte. Gute Fische konnten unmöglich so enden. Am deutlichsten erinnere
ich mich an ein Stück von einem Fischgesicht, das ich vor den Füßen meines
Vaters vom Boden auflas, als er sich mit einem der Händler unterhielt. Es [286]  war
ein halber Kopf, der Augapfel noch ziemlich intakt, und aus dem Hals ragten gut
erkennbar ein paar Zentimeter Wirbelsäule. Das Fleisch, das am Rückgrat klebte,
fühlte sich klitschnass an, wie mit Conditioner vollgesogene Haare im Abfluss
der Badewanne. Allerdings waren die Schuppen trockener und fester als erwartet,
genau wie der Augapfel, den ich mit wohligem Grusel berührte.

[287]  36
    Ich erwachte ziemlich abrupt aus der Ohnmacht im Kaiser
Hospital in Los Feliz. Von den sieben aus unserem Team, die sich in jener Nacht
vom Pizzabelag eine Lebensmittelvergiftung holten, lag nur ich vier Tage später
noch dort. David war nicht da, und als ich

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