Pirat des Herzens
etwas? Gras oder Bäume?«
»Auf der Südseite gibt es einen Wald mit gutem Wildbestand«, erklärte er. »Aber es wird nicht bejagt.«
Ihre Blicke trafen sich.
»Ich will nicht, daß das Wild ausgerottet wird. Alles, was wir zum Leben brauchen, wird mit dem Schiff aus Belfast gebracht.«
»Warum lebt Ihr eigentlich hier? An einem so gottverlassenen Ort?«
»Wo soll ich sonst leben?« Sein Blick schweifte zur Insel hinüber.
Katherine wußte keine Antwort. Die Sonne stieg höher. Die Felseninsel in wabernden Nebelschleiern in der kühlen, grauen See wirkte abweisend und unheimlich.
An der Schwelle der großen Halle blieb Katherine stehen. Liam sprach mit dem Verwalter. Diener und Mägde machten sich im Hintergrund zu schaffen. Der hohe Raum war düster und kalt. Sie zog den Umhang, den er ihr beim Anlegen des Schiffes gegeben hatte, enger um die Schultern.
Katherine wußte nicht, was sie erwartet hatte, jedenfalls kein feuchtes, klammes Haus. Ihr Elternhaus Askeaton war auch eine alte Burg, allerdings mit allen Annehmlichkeiten ausgestattet.
Verwirrt dachte sie an seine luxuriös eingerichtete Kabine auf dem Schiff, an die edle Holztäfelung, die kostbaren Teppiche, die Polstersessel, den silberbeschlagenen Nachtstuhl.
Katherine trat an den mannshohen Kamin, in dem ein Feuer prasselte. Die Einrichtung der Halle bestand aus einem alten, langen Tisch, zwei Bänken, zwei Stühlen und einer verkratzten Anrichte. Als Wandschmuck diente ein verblichener Gobelin. Unablässig hörte man das Pfeifen des Windes durch das alte Gemäuer. Katherine graute vor dem Gedanken, hier einen ganzen langen Winter verbringen zu müssen.
Liam war hinter sie getreten. »Ich zeige dir unsere Kammer. «
Sie sträubte sich gegen das Wort >unser< und wandte sich um.
»Ihr habt bekommen, was Ihr wolltet. Warum laßt Ihr es nicht gut sein und gebt mich frei?«
Er blickte ihr tief in die Augen, dann auf ihre bebenden Lippen. »Ich habe noch längst nicht bekommen, was ich von dir will, Katherine.« Er machte auf dem Absatz kehrt und durchquerte die Halle.
Ein Schauer jagte ihr über den Rücken. Zögernd folgte sie ihm.
Was meinte er damit? Er hatte ihre Unschuld. Was wollte er noch?
Im zweiten Stockwerk befanden sich nur zwei Kammern. An der Burg war seit ihrer Entstehung vor Jahrhunderten keine bauliche Veränderung vorgenommen worden. Liam stieß eine schwere alte Eichentür auf und bückte sich unter dem niederen Türstock. In der Mitte der Kammer stand ein breites, schlichtes, mit Pelzen bedecktes Bett. Die Fenster waren mit Tierhäuten abgedichtet.
Liam entzündete eine Kerze. Katherines Enttäuschung wuchs. In seiner Schiffskajüte lagen kostbare Teppiche. Wieso lag hier kein einziger Teppich? Wieso gab es keinen Tisch, keinen Stuhl? Am Fußende des Bettes stand eine Truhe, in einer Ecke stand ein Nachtstuhl. Nicht einmal Feuer brannte in dem großen Kamin.
»Euer Schiff gefällt mir besser«, platzte Katherine heraus.
Liam blickte sie an. »Mir auch.« Dann trat er an den Kamm, enzündete einen Fidibus und hielt ihn an das locker geschichtete Reisig. Bald hatte er mit kundigen Händen ein Feuer entfacht.
Sie betrachtete seinen breiten Rücken. Durch das dünne Leinen seines Hemdes zeichnete sich das Spiel seiner Muskeln ab. Ihr Blick wanderte tiefer, zu seinen strammen Gesäßbacken. »Wann werdet Ihr meiner überdrüssig sein?« Ihre Stimme klang gepreßt.
»Ich werde deiner nie überdrüssig sein, Kate.« Sein Blick bohrte sich in ihre Augen. Dann verließ er ohne ein weiteres Wort den Raum. Katherine blickte noch lange verständnislos auf die verschlossene Eichentür.
Erschöpft sank sie aufs Bett. Wie hatte er das nun wieder gemeint?
Und dann sah sie John Hawkes wutverzerrtes Gesicht vor sich.
Wenn sie nur fliehen könnte. Sie mußte fliehen.
Unten am Hafen gab es ein Dorf, in dem seine Männer mit ihren Frauen und Kindern lebten. Das Dorf hatte auf Katherine einen ganz normalen Eindruck gemacht: strohgedeckte Steinhäuser mit Vorgärten. Sie hatte sogar Rosenstöcke an den Hauswänden gesehen und den Turm einer Dorfkirche mit einem Kruzifix auf dem Dach, ein seltsamer Anblick in Anbetracht der Tatsache, daß hier nur gottlose Verbrecher hausten.
Katherine befeuchtete ihre trockenen Lippen. Ob sie sich allein dort hinunterwagen würde? Das Dorf machte einen verschlafenen, friedlichen Eindruck. Die letzten zwei Tage hatte sie auf der Sea Dagger unter Piraten gelebt, und vor Wochen schon einmal, als er sie zum
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