Pirat des Herzens
Bestrafung. Sie würde ihm seinen Verrat nie verzeihen, und dennoch: Den Tod wünschte sie ihm nicht. Sie mußte die Königin um seine Begnadigung bitten.
Die drei Reisenden stiegen im Gasthof >Zum Weißen Bär< ab. Macgregor hatte Erkundigungen eingezogen und erfahren, daß der Hof in Richmond weilte, Liam im Tower eingekerkert und noch nichts über sein Schicksal entschieden war. Katherine schaute in den Spiegel. Die Augen in ihrem bleichen Gesicht waren von erschreckend dunklen Ringen umgeben. Sie hatte einen Auftrag zu erfüllen. Sie mußte sich für Liam O’Neill einsetzen, auch wenn sie nie wieder zu ihm zurückkehren würde.
Elisabeth wanderte im Audienzsaal auf und ab. Sie hatte befohlen, den Piraten zu ihr zu bringen, sie konnte nicht länger warten. Sie wollte ihn auf Knien vor sich liegen sehen; er sollte sie um Gnade anflehen, seine absurden Erklärungen für sein schamloses Verhalten stammeln.
»Beruhigt Euch, Bess«, murmelte Leicester an ihrem Ohr. »Wie könnte ich«, zischte sie, gereizt wegen seiner Ruhe. Robin haßte jeden Rivalen. Und sie hatte Liam stets den Vorzug gegeben.
Mit Genugtuung hatte er registriert, daß Liam sich als Verräter entpuppt hatte. Immer wieder hatte er betont, Liam müsse unverzüglich vor Gericht gestellt, verurteilt und gehängt werden.
Elisabeth wünschte, Leicester wäre nicht hier. Auch Ormonds und Cecils Gegenwart behagte ihr nicht. Andererseits brauchte sie das Urteil ihrer Berater in O’Neills Fall. Sie selbst war zu voreingenommen.
Die Flügeltüren wurden aufgestoßen. Elisabeth blickte einem Dutzend rotuniformierter Leibgardisten entgegen, angeführt von Sir John Hawke. Neben ihm ging der Gefangene.
Elisabeths Herz machte einen Sprung, ihre Augen weiteten sich, erschreckt über sein Aussehen.
Sein Hemd war blutverklebt und grau vor Dreck. Seine Hosen waren fleckig und zerrissen. Selbst auf die Entfernung stieg Elisabeth sein scharfer Körpergeruch in die Nase. Seine Wangen waren mit einem verfilzten Bart bedeckt. Ihre Blicke trafen einander. Und das Mitleid der Königin schwand.
Wie stolz und unerschrocken er vor ihr stand! Diesen Mann vermochte kein Sterblicher zu besiegen. Selbst dem Tod würde er noch mit dem Mut eines Löwen entgegenblicken.
Liam stand hocherhobenen Hauptes vor ihr, blickte ihr verwegen in die Augen, der Hauch eines Lächelns umspielte seine Lippen.
Nein, Liam hatte weder vor dem Tod noch vor seiner Königin Angst. Als Frau konnte Elisabeth ihm kaum widerstehen, als Königin forderte sie Furcht und Unterwürfigkeit von ihm.
Wieso hatte er sich gegen sie gestellt? Sie dankte Gott -und ihrem eisernen Willen daß sie ihn nicht ermuntert hatte, mit ihr das Bett zu teilen. Die Königin bemühte sich, ihre Unruhe zu verbergen. »Tretet näher, Pirat«, forderte sie kühl.
Liam trat vor, ohne den Blick von ihr zu wenden. Er hatte die Stirn, sie mit fester Stimme anzusprechen. »Ich bitte um Verzeihung, Eure Majestät«. Erst dann sank er auf die Knie.
»Ihr scheint nicht die Spur von Reue zu empfinden.«
»Ich bereue zutiefst.« Er hob den Kopf. »Ich bitte Euch um Verzeihung, nicht nur für meine vermeintlichen Verbrechen, sondern auch dafür, in diesem schmutzigen Zustand vor Euch erscheinen zu müssen.«
Sie blickte ihn streng an. Es war ihr nicht entgangen, daß er von vermeintlichen Verbrechen gesprochen hatte.
Sein Blick war zu kühn, zu männlich, zu verheißungsvoll.
Elisabeth erbebte. Sie fühlte sich nicht als mächtige Königin, sondern unsicher wie ein scheues, unberührtes Mädchen.
Die schweren Eisenringe mußten ihm Schmerzen bereiten. Sollte er getrost leiden für all das, was er ihr angetan hatte, »Erhebt Euch!«
Liam kam geschmeidig auf die Füße. »Ich danke Euch.«
Elisabeth fühlte sich unbehaglich. Jedes Wort, jede Geste wurde von ihren Ratgebern genau beobachtet und registriert. Doch sie durfte die Höflinge nicht entlassen. »Wenn Ihr das nächste Mal bei mir vorsprecht, nehmt vorher ein Bad. Euer Anblick und Euer Gestank sind eine Zumutung und Beleidigung«, schalt sie ihn unverblümt.
»Ich hoffe, es gibt ein nächstes Mal.« Liam neigte den Kopf. »Ich kann mich selbst in diesem Zustand nicht ausstehen«, fügte er heiter hinzu.
»Wo ist John Hawkes Gemahlin?« fragte die Königin unvermittelt.
Sein arrogantes Lächeln schwand. Eine gefährliche Kälte flackerte in seinen Augen.
»Auf meiner Insel.«
Plötzlich hatte Elisabeth das dringende Bedürfnis, mit ihm allein zu
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