Pirat des Herzens
einige Dienstboten mitgegeben, da sie Einkäufe machen wollte. Der Kutscher blinzelte nur verwundert, als sie ihm auftrug, nach Whitehall zu fahren und nicht auf den Markt in Cheapside.
Nun stand Juliet zaghaft im Bankettsaal, ohne auf das seltsame Deckengemälde des Himmelsgewölbes zu achten oder die üppigen Fruchtkörbe, die über den langen Tafeln hingen. Suchend wanderten ihre Blicke über die Höflinge, die an den langen Tischen speisten, sie konnte aber John Hawke nirgends entdecken.
Juliet fragte einen vorbeigehenden Offizier nach ihm und erfuhr, daß er sich im Wachraum aufhalte. Der Soldat erklärte ihr den Weg. Juliet verließ den Bankettsaal und überquerte den Appellhof, den Umhang fest um die Schultern gezogen. Es war ein windiger, regnerischer Novembertag.
Im Flur des Kasernenbaus blieb Juliet plötzlich stehen. Hawke war aus dem Wachraum getreten und hatte sie bemerkt. Sie fühlte, wie Röte ihr in die Wangen stieg. Sie war gekommen, um sich nach Katherine zu erkundigen. In Wahrheit aber wollte sie John Hawke sehen.
Auch Hawke stand wie angewurzelt und blickte ihr über die Länge des Korridors entgegen. Beim letzten Mal hatte sie ihm bittere Vorwürfe ins Gesicht geschleudert; dabei hatte er nur seine Pflicht der Königin gegenüber erfüllt.
Hawke schritt auf sie zu, die Sporen seiner hohen, glänzenden Stiefel klirrten. Er sah atemberaubend gut aus in seinen engen Reithosen und der roten Uniform.
»Lady Stratheclyde.« Hawke verneigte sich zackig vor ihr.
Juliet senkte verlegen den Blick. »Sir John. Ich... ich habe von Katherine gehört«, stammelte sie. »Bitte sagt, daß es nicht stimmt.«
Er nahm ihren Ellbogen. »Gehen wir nach draußen.«
Seine Berührung löste eine Hitzewelle in ihr aus. Der Park war leer an diesem naßkalten Tag. Hawke führte sie zu einer abgelegenen Laube unter ein paar alten Eichen. »Hat Katherine die Königin wirklich angegriffen?«
John blickte ihr in die Augen. »Ja.«
»Mein Gott!«
»Es war nicht ihre Schuld«, entgegnete John gequält. »Sie war vor Kummer außer sich. Gottlob wurde die Königin nicht verletzt - und Katherine konnte entkommen.«
»Gottlob«, wiederholte Juliet tonlos. »Wie geht es Katherine jetzt?«
»Ich weiß es nicht, Juliet. Ich weiß nicht einmal, wo sie ist.«
Juliet rang die Hände.
»Macht Euch bitte keine Sorgen um sie.« Hawke ergriff ihre Hände. Juliet zuckte zusammen, und er gab sie erschrocken frei. »Verzeiht!«
Wenn ich nur nicht so ungeschickt im Umgang mit Männern wäre, dachte Juliet verzweifelt. Doch Hawke war Katherines Ehemann, und sie selbst mußte in einem Monat Simon Hunt heiraten. »Wie sollte ich mir keine Sorgen um sie machen? Sie ist alleine und unglücklich.«
»Ich glaube nicht, daß sie alleine ist.«
Juliet blickte zu ihm auf. Hawke wußte mehr, als er ihr sagte. Er vermied es, sie anzusehen. »O’Neill gelang die Flucht aus dem Tower.«
Ob sie bei ihm ist? überlegte Juliet. Und plötzlich wußte sie, daß die beiden zueinander gehörten. Ein warmes Glücksgefühl durchrieselte sie. Wieso aber zeigte Hawke kein Bedauern, daß seine Frau zu einem andern gegangen war. »John, es tut mir leid«, hauchte Juliet.
Sein Blick wanderte über ihr Gesicht. »Wirklich? Das ist nicht nötig. Katherine liebt ihn. Und er liebt sie. Es war falsch von mir, sie zu zwingen, bei mir zu bleiben.«
Juliets Herz krampfte sich zusammen. »Ich habe Euch beschuldigt, eigensüchtig und ehrlos zu sein«, flüsterte sie bebend. »Das tut mir leid. Ich habe mich geirrt. Ihr seid selbstlos und nobel. Vergebt mir, Sir John!«
Er sah sie unverwandt an. »Was ich getan habe, war abscheulich.« Seine Seelenqual spiegelte sich in seinen Augen. »Ich habe ihr das neugeborene Kind entrissen. Das kann ich nie vergessen. Nicht ihre Schreie, nicht ihr Schluchzen.« Seine Stimme klang belegt. »Ich träume nachts davon. Jede Nacht.«
»Aber Ihr habt den Befehl der Königin ausgeführt.«
Tränen schimmerten in Johns Augen. »Trotzdem war es falsch, und ich wußte, daß es falsch war. Katherine wird als Attentäterin gesucht, ihr Kind ist bei einer Amme. Es war nicht Katherines Schuld.«
»Es war die Schuld der Königin«, rief Juliet entrüstet. »Wie konnte sie so grausam sein!«
»Es war genauso meine Schuld.« John schluckte schwer und wandte sich ab.
Juliet empfand seinen Schmerz wie ihren eigenen. »John!« Sie trat einen Schritt näher und berührte ihn, legte die Arme um ihn. Er litt solche Qualen. Sie liebte ihn
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