Pirat des Herzens
und heftig. Beim Betreten des Hofes sah sie ihn. Sechs Soldaten führten Liam und Macgregor auf den Hof. Beide Männer blinzelten in das helle Tageslicht, nachdem sie vierundzwanzig Stunden im Dunkeln eingesperrt waren. Mit dem in Streifen gerissenen Hemd hatte Liam seine Wunde verbunden und den Arm in eine Schlinge gelegt. Unter dem blutbefleckten Umhang war sein Oberkörper nackt. Katherine fiel sein gerötetes Gesicht auf. Er fieberte.
Sein Blick traf ihren, und in seinen Augen war ein amüsiertes Funkeln, als spüre er ihre Besorgnis. Seine Selbstsicherheit ärgerte sie. Der Pirat war weit davon entfernt, an seiner Wunde zu sterben.
Sie hätte wissen müssen, daß eine Kugel dem Kraftprotz nichts anhaben konnte.
Katherine hörte Debrays raunende Stimme von hinten an ihrem Ohr. »Ihr scheint glücklich zu sein, Euren Entführer wiederzusehen, Mylady.«
Sie straffte die Schultern und wandte sich betont langsam fr um. »Ich bin froh, daß er am Leben ist. Das nennt man christliche Nächstenliebe, Sir Walter.«
»Vielleicht möchte auch ich ein wenig an Eurer christlichen Nächstenliebe teilhaben«, schmeichelte er.
Katherine zuckte zusammen. Dieser Mann wußte oder ahnte zu viel. Doch er konnte nicht wissen, daß weit mehr als unschuldige Neckereien zwischen ihr und Liam vorgefallen waren. Sie errötete tief und wünschte sich sehnlichst, Tilbury und diesen gefährlichen Mann schnellstens zu verlassen. »Warum habt Ihr uns holen lassen?«
Debrays’ gelbe Zähne blitzten. »Ihr seid nach Whitehall berufen worden, alle drei, Lady FitzGerald. Die Königin befiehlt Euer umgehendes Erscheinen.«
Katherine erschrak. Ihr Blick suchte Liam. Er zeigte keine Reaktion auf den Befehl, der Königin vorgeführt zu werden, um anschließend im Kerker bis zur Vollstreckung seines Todesurteils zu schmachten.
6
Mit Ausnahme ihres Besuches bei ihrem Vater in Southwark war Katherine noch nie in einer so großen Stadt wie London gewesen. Dublin war zwar die größte Stadt Irlands, doch weder der Graf von Desmond noch seine Gemahlin hielten sich häufig in der Stadt auf. Und Katherine hatte ihre Eltern nur einmal nach Dublin begleitet.
London stellte Dublin bei weitem in den Schatten. Was es da alles zu bewundern gab! Von den hohen gotischen Häusern der Adeligen am Ufer der Themse bis zu den halbverfallenen, strohgedeckten Holzkaten der Elendsviertel mit ihren Bordellen und Spelunken. Himmelstürmende Kathedralen erhoben sich über Fachwerkhäuser in engen, schmutzigen Gassen. Knochige Maultiere zogen Karren mit Reisigbündeln, daneben fuhren hochherrschaftliche vierspännige Kutschen, an deren Wagenschlag goldene Wappen prangten. Die Seidenlivrees der Kutscher und Diener hatten mehr gekostet, als eine arme Familie in einem Jahr zum Leben zur Verfügung hatte. Schwarzgekleidete Studenten plauderten mit Handwerkern und Künstlern. Man drehte sich nach den reichen Adeligen um, die einen sehnsüchtig und bewundernd, die anderen feindselig. Bettler liefen den Prachtkutschen nach. Und sollte einer der edlen Herren oder Damen es wagen, mit oder ohne Begleitung zu Fuß durch die Gassen zu schlendern, waren sie vor Taschendieben nicht sicher.
Fast auf jedem Platz wurden Märkte abgehalten. Katherine kam aus dem Staunen nicht heraus. In den Verkaufsbuden wurden Dinge angeboten, von deren Existenz sie nicht einmal ahnte. Seiden und Gewürze aus dem Orient, venezianische Glaswaren, Pelze aus den Wäldern Schwedens und Norwegens. Putz und Flitter, Hüte, Mützen und Handschuhe, deren Stulpen mit Rüschen, ja sogar mit Edelsteinen besetzt waren. Daneben bunte Bänder und Federn, bestickte Kissen, emaillierte und bemalte Parfumkugeln, sogar kleine französische Polstersessel mit gepolsterten Armlehnen gab es zu bewundern. An einem Stand wurden Cremetöpfe und Schminken verkauft. Katherine bewunderte milchweiße Puder und alle Schattierungen von Wangenrot. An einem anderen Stand wurden Bettflaschen verkauft - aus schierem Silber. Andere Verkäufer priesen Gewürzkuchen und Süßigkeiten an. Katherine wäre zu gerne durch die Menge spaziert, um sich die Waren und die Damen und Herren, die mit den Händlern feilschten, genauer anzusehen.
Doch es sollte nicht sein. Nicht an diesem Tag. Sie war eine Gefangene. Nun nicht länger die Gefangene des Freibeuters, sondern die der Krone, auf dem Weg zur Audienz bei der Monarchin.
King Street Gate tauchte auf. Katherine warf Liam einen Blick zu, doch ihm war kein Anzeichen von Angst
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