Piratenbraut
einordnet. Doch leider dauert es ausgerechnet diesmal drei Wochen, bis sich der Fraktionschef mit einer neuen Podcast-Episode aus dem Parlamentsalltag zurückmeldet. Sein Vorstoß zum Urheberrecht und die Reaktionen darauf fehlen darin. Klar, auch die Presse interessiert sich inzwischen längst nicht mehr für Lauers Gesetzentwurf und dessen Entstehungsgeschichte. Andererseits: Just an diesem Septembertag stellt der Parteivorsitzende Bernd Schlömer gemeinsam mit dem offiziellen Urheberrechtsbeauftragten der Piratenpartei, Bruno Gert Kramm, in Berlin eine Broschüre mit Forderungen der Piraten zum Urheberrecht vor – ein Heft, dem Lauer mit seinem Alleingang zuvorgekommen war. Doch auch darauf geht Lauer nicht ein.
Stattdessen plaudert er ein wenig über seine Arbeit im Innenausschuss, bevor er bemerkt: »Heute ist Dienstag, wir haben um 15 Uhr wieder Fraktionssitzung. Wie ihr hoffentlich alle wisst, sind die Fraktionssitzungen öffentlich.« Er erinnert mich jetzt an einen Fernsehmoderator. »Ihr seid natürlich herzlich eingeladen, euch das alle mal anzusehen!«, bekräftigt Lauer, »15 Uhr, Berliner Abgeordnetenhaus – Raum 107! Fraktionssitzung der Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus!« Ich klinke mich aus. Danke für die Einladung. Da gehe ich heute lieber mit meinen Kindern zum Sandkasten.
17 »Pirat111«
17 »Pirat111«
Wie ich aus Versehen lerne, die Abstimmungen im Liquid Feedback zu manipulieren
Dies ist ein Moment, den es nicht geben dürfte. Vor mir auf dem Laptop-Bildschirm hat sich Liquid Feedback geöffnet, das viel bewunderte Computerprogramm, mit dem die Piratenpartei den Weg hin zur Liquid Democracy beschreiten will. Alles sieht genauso aus, wie ich es seit einigen Wochen kenne: oben die orangefarbene Menüleiste, die blaue Themenliste unten und in der Mitte das gelbe Feld mit den Anwendungstipps. Nur ganz oben rechts in der Ecke, wo bis jetzt stets »Astrid Geisler« angezeigt wurde, weil ich mich im Gegensatz zu vielen anderen Piraten mit vollem Namen im Liquid Feedback angemeldet hatte, steht nun etwas anderes. Ein Name, der dort nicht hingehört: Pirat111.
Niemand außer mir weiß, wer Pirat111 ist. Niemand ahnt, dass es sich dabei um meinen zweiten Account im Liquid Feedback handelt, meinen Doppelgänger quasi, den ich aus einer Laune heraus Pirat111 genannt habe.
Gerade eben habe ich mir einen Zweitaccount im Liquid Feedback freigeschaltet. Und das ist etwas anderes, als hätte ich mir eine zweite E-Mail-Adresse oder eine neue Identität in einem Dating-Portal zugelegt. Ich kann mir in der Demokratieplattform der Piratenpartei ab sofort selbst applaudieren und Unterstützung verschaffen. Ich habe jetzt das doppelte Mitspracherecht.
Dabei bin ich keine Hackerin, von IT -Sicherheit habe ich nicht mal eine blasse Ahnung. Im Gegenteil, ich falle sogar immer mal auf Spam-Mails herein. Aber Pirat111 bin ich trotzdem.
Ich musste dafür auch keinen Code knacken oder Unterlagen fälschen. Ich habe den zweiten Zugangscode zu der Abstimmungsplattform nicht einmal angefordert. Der Bundesvorstand der Piratenpartei hat ihn mir zugemailt. Unverlangt. Okay, ich hatte nicht nur für Mitglied 39.120, sondern auch für Mitglied 40.424 den Jahresbeitrag bezahlt. Aber angesichts der katastrophalen Zahlungsmoral vieler Piraten und der desolaten Finanzlage der Partei müsste das eigentlich im Sinne aller gewesen sein.
Und klar, ich war auch ziemlich neugierig gewesen: Wenn meine Partei mal eben mehrere Mitgliedsnummern verteilte, würde sie dann ebenso großzügig weitere Liquid-Feedback-Zugangscodes verschicken? Und: Könnte ich damit einfach so an eine zweite Stimme gelangen? Mir erschien das unwahrscheinlich. Schließlich wurde diese Abstimmungsplattform doch allerorten als Update der Demokratie angepriesen. Und als eine besonders sichere Software. Obendrein war ich ja sogar zweimal mit ein- und derselben E-Mail-Adresse in der Mitgliederdatenbank der Partei registriert. Und wer einmal versucht hat, sich beim Online-Kaufhaus Amazon oder dem Bezahldienst Paypal – also da, wo es ernst wird im Internet – ein zweites Mal anzumelden, weiß, dass das meist nicht so einfach klappt.
»Probier’s halt einfach aus!«, hatte mein Freund gesagt, als ich ihm beim Latte macchiato auf der Spielplatzbank davon erzählte. »Was soll schon passieren? Ist doch spannend.«
Ich zögerte zunächst. Mir widerstreben solche Aktionen. Andererseits hätte ich bis vor drei Minuten gewettet: So einfach kann das gar nicht
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