Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Piratenbraut

Piratenbraut

Titel: Piratenbraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Geisler
Vom Netzwerk:
Tagesordnung. Ich sitze, gemeinsam mit Piraten aus der Crew Prometheus, in der dritten Tischreihe ganz hinten. Wenn ich die Augen zusammenkneife, kann ich die Antragstexte vorne auf der Beamerleinwand gerade noch so entziffern. Knapp 300 Piraten dürften heute in die Backsteinhalle im Stadtteil Moabit gekommen sein, in der sich früher ein Pumpwerk befand. Fast ebenso viele Laptops stehen auf den Tischen herum. Natürlich sind wieder unzählige Pferdeschwanzträger in schwarzen Motto-T-Shirts da, aber auch ältere Männer in Batikoutfits, eine Frau mit Kopftuch, Menschen mit leuchtend bunt gefärbten Haaren und Herren im Business-Look.
    Vorne hat Heiko Herberg, 25 Jahre, soeben den Antrag X 032 vorgestellt. Der Jurastudent ist im Juni zum neuen Parlamentarischen Geschäftsführer der Landtagsfraktion gewählt worden, jetzt steht er auf der karg dekorierten Bühne in einem blau-weiß gestreiften Hertha-Trikot mit DB-Logo auf der Brust und hält sich an seinem Smartphone fest, von dem er eben den Antragstext abgelesen hat. Antrag X032 hat es in sich. Die Piratenfraktion möchte von uns wissen, ob sie im Abgeordnetenhaus einen Nachtragshaushalt durchwinken soll, mit dem die schwarz-rote Berliner Regierungskoalition den verpfuschten Flughafenneubau in Berlin-Schönefeld retten will. Es geht um 440 Millionen Euro mehr für den Großflughafen, weil da »ein bisschen was schiefgelaufen ist«, wie Heiko Herberg es eben in seiner kurzen Rede lässig formuliert hat. Die Regierung habe ihren Nachtragshaushalt ohnehin schon eingebracht, erläuterte er. Die Piratenfraktion habe keine Wahl: »Wir müssen uns entscheiden.«
    Nur wie? Ich will ja nicht undankbar sein, ganz grundsätzlich ist es natürlich großartig, dass ich als Neumitglied ohne Posten gleich auf einem Landesparteitag über einen so grundlegenden und wichtigen Antrag mitentscheiden darf. In keiner anderen Partei wäre das so einfach möglich. Denn nur die Piraten verzichten auf das Delegiertensystem, erlauben jedem Basismitglied, das seinen Jahresbeitrag gezahlt hat, beim Parteitag mit abzustimmen. Ich weiß dieses Privileg zu schätzen, zumal mich die Piraten hier bereits zum zweiten Mal mit abgelaufenem Personalausweis akkreditiert haben. Deshalb möchte ich auf jeden Fall verantwortungsvoll mit meinem Stimmrecht umgehen. Nur ist das gerade schwieriger als gedacht.
    Denn ein Nein zu diesem Antrag wäre ebenso falsch wie ein Ja. Die Gründe hat der Landtagsabgeordnete Martin Delius vorne am Saalmikrofon bereits auf den Punkt gebracht. Die Partei stehe vor der Entscheidung: Wolle sie sich als Opposition profilieren und deshalb grundsätzlich ablehnen, was die Berliner Landesregierung beim Flughafen verbockt habe? Oder den Nachtragshaushalt freigeben, damit der Flughafen für die Berliner am Ende nicht noch teurer werde? Ich würde antworten: Am liebsten beides. Nur kann ich ja schlecht meine zwei Stimmkarten gleichzeitig heben.
    Der Versammlungsleiter, den alle ganz selbstverständlich nur »Plätzchen« nennen, holt mich aus meinen Gedanken. »Heiko muss leider weg«, gibt er vom Podium hinunter bekannt. Und jemand ruft belustigt: »Zum Fußball!« Dann trottet der Parlamentarische Geschäftsführer in seinem Fußballtrikot vom Podium hinunter, während »Plätzchen« über einen Schalke-Witz kichert, den ich nicht kapiere.
    Heiko muss zum Fußball? Ich hoffe, das war nur ein Scherz. Sicher bin ich mir nicht. Denn im Berliner Olympiastadion empfängt Hertha BSC an diesem Sonntag den V f R Aalen zum Heimspiel. Und Heiko Herberg hat heute früh getwittert, er habe leider seine Hertha-Dauerkarte im Abgeordnetenhaus vergessen und müsse deshalb einen Umweg nehmen. Aber kann es wirklich sein, dass dem Parlamentarischen Geschäftsführer die Zweite Fußballbundesliga gerade wichtiger ist als die anspruchsvolle Frage, die er uns vorhin selbst auf die Tagesordnung gesetzt hat? Als wüsste ich nicht auch Besseres anzufangen mit meinem Sonntag, als mich mit der noch nicht vorhandenen Oppositionsstrategie dieser fünfzehn Piraten im Berliner Landesparlament herumzuquälen!
    Am Saalmikrofon hat sich längst eine meterlange Schlange gebildet. Piraten wollen ihre Argumente zum Flughafen loswerden. Ein langhaariger Redner versichert, der Squad Finanzen-Haushalt-Steuern sei dafür, den Nachtragshaushalt »kategorisch abzulehnen«, denn eigentlich gehe es hier doch um die Frage: »Vertraut man der Regierung?« Und das könne er nur verneinen. Martin Delius aus dem Abgeordnetenhaus

Weitere Kostenlose Bücher