Piratenbraut
NSU waren dringliche Gründe, sich Politikbetrieb und Staatswesen grundsätzlich transparenter zu wünschen. Inzwischen ist den Piraten statt Anerkennung für ihren Transparenz-Selbstversuch meist nur noch der Spott des Publikums gewiss.
Flüchten sich die Fraktionsmitglieder jedoch aus Angst vor negativen Schlagzeilen oder Anwürfen aus der eigenen Partei mit ihren Streitereien in den nichtöffentlichen Teil der Sitzung, ist ihnen der Vorwurf sicher, diese Heimlichkeiten widersprächen den eigenen Transparenzversprechen.
Vor Monaten schon befasste sich ein Spiegel- Essay mit diesen Paradoxien: Die Piraten befriedigten mit ihren öffentlichen Fraktionssitzungen in Berlin auf »verhängnisvolle Weise das Unterhaltungsbedürfnis der Medien«, warnte der Autor. Die neue Transparenz im politischen Entscheidungsprozess habe nicht etwa zu einer genaueren Auseinandersetzung mit den Inhalten der Partei geführt, sondern zu einer noch stärkeren Fixierung auf die Inszenierung. Denn jedes Ringen der Piraten um eine Position – »eigentlich das Wesen von Demokratie« – lasse sich medial als Streit und Schaukampf darstellen.
Eigentlich aber, so die Analyse des Journalisten, verdienten die Piraten besondere Nachsicht: »Das Recht, Fehler zu machen, ist eine Voraussetzung dafür, Dinge in der Öffentlichkeit zu tun. Das ist ein Paradox der Transparenz: Je größer die Zahl der Informationen, die uns zur Verfügung stehen, umso wichtiger ist es, dass wir lernen, sie zu ignorieren, zu verzeihen und zu vergessen.« Interessiert hat das aber offensichtlich nicht mal die Kollegen aus der eigenen Redaktion.
Gerade twittert ein Spiegel- Korrespondent aus Raum 107 im Abgeordnetenhaus, Lauer werde in der Fraktionssitzung von den übrigen Fraktionsmitgliedern wegen seines Urheberrechtsentwurfs kritisiert. Und es ist klar, die Presse wird auch dieses Spektakel nicht ignorieren, verzeihen und vergessen, sondern ausschlachten.
Schon am Mittag meldete Welt Online : »Urheberrecht: Berliner Piraten düpieren Parteispitze«. Es dauert nicht lange, dann titelt die Wirtschaftswoche in ihrer Onlineausgabe: »Piraten streiten um Urheberrechtsreförmchen«. Am übernächsten Tag wird in der FAZ ein Interview mit dem Titel »Weniger Demokratie wagen« erscheinen, in dem sich Fraktionschef Lauer fragen lassen muss, ob er mit seinem Alleingang beim Urheberrecht das »Ende der Basisdemokratie bei den Piraten« eingeläutet habe. Und der Spiegel legt schließlich mit einer Geschichte über den »Showpiraten« Lauer nach, der mal wieder die Prinzipien seiner Partei drangebe. Denn Lauer habe den umstrittenen Gesetzentwurf weder der Basis noch dem Parteivorstand gezeigt, dafür aber zwei Anwälten, deren Namen er nicht verraten wolle – »so viel zum Thema Transparenz«.
Mir kommen inzwischen nicht mehr nur die Piraten beim Thema Transparenz unentschieden vor. Auch die Öffentlichkeit bedient sich dieses Schlagworts, wie es ihr gerade passt. Einerseits verlangt sie maximale Transparenz und rügt jeden Verstoß der Piraten gegen die eigenen Maßstäbe, andererseits erwartet sie von deren Parteigremien und Fraktionen maximale Geschlossenheit und Harmonie – obwohl das eine das andere zwingend ausschließt.
Zu Recht wird den anderen Parteien und ihren Protagonisten vorgehalten, sie nährten mit ihrer Geheimniskrämerei die Politikverdrossenheit und verwechselten Demokratie zunehmend mit PR . Doch wenn eine Partei wie die Piraten in einer inhaltlichen Debatte nicht maximal glattgebügelt und pseudoharmonisch auftritt, fehlt den Leuten die gewünschte Orientierung.
Wer Transparenz hört, unterstellt gerne, hinter der durchsichtigen Fassade gebe es nichts zu verbergen. Sobald sich die Tür zum Fraktionssaal öffnet, sollen drinnen keine verfeindeten Karrieristen mehr sitzen, sondern ausnahmslos uneigennützige Idealisten. Doch natürlich ist die Annahme abwegig, durch Livestreams verringerten sich die Intrigen in einer Partei. Wer Strippen ziehen und kungeln will, macht das trotzdem: auf dem Flur, beim Mittagessen, in der Kneipe. Und man kann weder jedes Mittagessen streamen, noch dort, wo gerade keine Webcam ist, nur über Nebensächlichkeiten oder Privates reden.
Als die Piraten sich auf das Kernthema Transparenz verständigten, waren sie eine Kleinstpartei, für die sich nur eine Nischenöffentlichkeit interessierte und deren Mitglieder das Parteigeschehen ohne größere Schwierigkeiten zumindest einigermaßen überblicken konnten. Inzwischen ist
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