Piratin der Freiheit
wollen jetzt nicht über Moral diskutieren.«
Der kleine Kapitän wies auf das überfüllte Deck:
»Wenn wir diese Männer ruhig halten wollen, müssen
wir ihnen gewisse >Freiheiten< gestatten. Aber das ist eine Sache. Nackte Frauen an Bord zu bringen und darauf zu vertrauen, daß man sie nicht unter Deck
schleppt, eine ganz andere.«
Sie verstrickten sich in eine lange Diskussion, in die sich bald Miguel Heredia, Sancho Mendana und natürlich der Engländer Gaspar Reuter einmischten. Dabei wurde es gelegentlich recht laut. Schließlich bemerkten sie, daß es an Bord der Dama de Plata ganz still geworden war. Fast die gesamte Besatzung starrte auf das Achterkastell, denn dort ging es um eine Entscheidung, die sie alle sehr direkt betraf.
Dann blickte alles auf Celeste Heredia. Weil sie, das war völlig klar, das letzte Wort haben würde.
So musterte das Mädchen der Reihe nach die Gesich-
ter ihrer »Offiziere«, notierte die Sorge in den Augen von beinahe zweihundert, zu absoluter Keuschheit ver-urteilten armen Teufeln und wandte sich schließlich an den Jesuiten.
»Laßt einen Kessel mit diesem magischen Sud vorbe-
reiten. Jeder Mann soll einen Finger hineinhalten, dann weiß er, was ihn erwartet, wenn er sich nicht an die Regeln hält.« Mit der Hand bat sie sich Ruhe aus. »Aber wir müssen die Frauen warnen, daß ihnen die gleiche Strafe droht, denn es wäre nicht gerecht, wenn nur eine Seite die Schuld träfe. Zwei können es nicht miteinander treiben, wenn einer nicht will, und eines muß ganz klar sein: Wer vergewaltigt, der baumelt.«
Sofort flogen Mützen und Lappen, mit denen man die
Decks gescheuert hatte, in die Luft, und man ließ die Frau hochleben, die ein für die Interessen aller so günstiges Urteil gefällt hatte.
Als sich die Gemüter schließlich beruhigt hatten, lä-
chelte Celeste nur und sagte leise:
»Und jetzt wird es Zeit, daß ich diese Frauen kennenlerne.«
Zum ersten Mal betrat sie einen Kontinent, den sie
bislang nur vom Deck der Galeone aus betrachtet hatte.
Vielleicht hatte sie bislang auf einen Landgang verzich-tet, weil sie instinktiv die Gefahr fürchtete, in eine Welt einzutauchen, die sie schließlich verhexen würde.
Als wäre es gestern gewesen, erinnerte sie sich an den Unterricht von Bruder Anselmo de Avila, ihrem alten Lehrer, der begeistert von den so unterschiedlichen, seltsamen Bräuchen der Afrikaner erzählt hatte, die nach Kuba gelangt waren. Auch die schwierigen Erfahrungen, die Bruder Anselmo mit den Sklaven von Ja-
maika gemacht hatte, standen ihr noch deutlich vor
Augen.
Die Welt der Schwarzen zog sie an und jagte ihr
gleichzeitig Furcht ein. Sie wußte von der animalischen Kraft und der überschäumenden Männlichkeit der Afrikaner. Zwar gestanden die Landbesitzer den Sklaven
nicht einmal eine Seele zu, und doch hatte jeder einzelne der Knaben, die bei ihrer schweißtreibenden Arbeit unter einer sengenden Sonne immer noch sangen, mehr Energie und Lebenslust in sich als zehn Weiße.
Die süße Wehmut, mit der sich die Schwarzen in den
Nächten, in denen sie sich um Lagerfeuer versammeln durften, alte Geschichten erzählten, hatte in Celeste den Glauben geweckt, daß jene fernen Länder schöner und geheimnisvoller als alle anderen der Welt sein mußten.
Die Lieder und Legenden der Schwarzen erzählten
von Elefanten, Löwen, Gorillas, Giraffen, Nilpferden und den gefürchteten Leopardenmenschen. Diese Menschen weinten vor Verzweiflung, niemals mehr in das geliebte afrikanische Paradies zurückkehren zu können, in dem sie zur Welt gekommen waren und aus dem
man sie so brutal gerissen hatte. Und jetzt war Celeste hier, stand in einer großen Schaluppe, bereit, auf einen schmalen Strand zu springen. Von dort aus betrachteten sie an die fünfzig Frauen, von denen sie so vieles trennte, wie eine allmächtige Göttin, die ihnen die Söhne, Ehemänner oder Väter wieder nach Hause bringen
konnte.
Sie sahen sich schweigend an, und Celeste bewunderte die ruhige Würde, mit der die meisten ihren Blick erwi-derten. So groß ihr Leiden auch sein mochte, sie waren immer noch freie Wesen. Noch hatte sie die Peitsche nicht gebrochen oder die traumatische Erfahrung, wie Tiere in den Lagerräumen eines stinkenden Schiffs eingepfercht, auf einer nicht enden wollenden Fahrt den Ozean zu überqueren.
Man schleppte eine schöne riesige Bank aus Mahagoni herbei, die gewiß ganz besonderen Anlässen vorbehal-ten war, stellte sie unter der schattigen Krone
Weitere Kostenlose Bücher