Piratin der Freiheit
angeschlossen hat-te und mit gleicher Verblüffung das eindrucksvolle
Schauspiel verfolgte, schüttelte ungläubig den Kopf.
»So was habe ich noch nie gesehen«, murmelte er.
»Aber ich wünschte, alle unsere Feinde wären so
groß!«
»Was wollt Ihr damit sagen?« wollte Sancho Mendana
wissen.
»Ich habe langsam den Eindruck, daß in diesen Sümp-
fen Gorillas und Riesenkrokodile längst nicht so ge-fährlich sind wie Fieber und Fäulnis. Die richten letzt-lich mehr Schaden an als alle wilden Tiere des Ur-
walds.«
»Trotzdem«, stellte Pater Barbas klar, »bin ich schon vor einiger Zeit zu folgendem Schluß gelangt: Wenn
einer das Klima Jamaikas aushält, dann braucht er auch das afrikanische Klima nicht zu fürchten. Hier sterben weiße Europäer wie die Fliegen, nicht die weißen Ame-rikaner.«
»Und worin unterscheiden sie sich?« wollte Celeste
wissen.
»In ihrer Lebensweise, nehme ich an«, erläuterte der Navarrese. »Und ich rede nicht von ihrer Kleidung,
sondern von dem, was sie essen und trinken, und vor allem, wie sie Mückenstiche ertragen. Die afrikanischen Mücken, selbst die aus diesen Sümpfen, sind reine
Amateure verglichen mit den jamaikanischen Moskitos, von denen selbst Kolumbus sagte, sie seien der grau-samste Feind gewesen, mit dem er es jemals zu tun
hatte.«
Vielleicht waren die Mücken der Region wirklich, wie Pater Barbas versicherte, »reine Amateure«, aber sie traten in Bataillonsstärke auf, als die Sonne hinter den Baumkronen unterging.
Dennoch war es ein magischer Anblick: Der dichte
Urwald schien vor Leben förmlich zu explodieren.
Zahllose bunte Vögel verdunkelten den Himmel, wäh-
rend sich Myriaden riesiger Fledermäuse, die bislang kopfunter an den höchsten Ästen gehangen hatten, in die Lüfte stürzten, um Insekten zu jagen.
Kurz darauf stimmte ein lärmendes nächtliches Orchester seine Instrumente: mit Gesängen, Rufen, Quaken und Brüllen. Man hätte glauben können, daß der Urwald tagsüber seine Siesta hielt und jetzt, nachdem die Sonne untergegangen war, die meisten Tiere beschlossen hätten, ihre Verstecke zu verlassen.
Die riesigen Krokodile glitten träge ins Wasser, große Fische sprangen in die Luft, um nach Libellen zu
schnappen, und als es bereits stockfinster geworden war, tauchte ein gefleckter Leopard am Ufer auf, blieb dort ruhig stehen und beobachtete die törichten Eindringlinge.
Eine Stunde später funkelten die Augen der Krokodile im Licht der Bordfackeln wie glühende Kohlestücke,
und alles nahm geradezu gespenstische Züge an, denn es war schon nicht mehr überraschend, sondern geradezu absurd, daß zwei Ozeanschiffe in einem schmalen
Flußarm inmitten eines nahezu unerforschten Sumpfes ankerten.
Celeste Heredia lag auf dem riesigen Bett aus Eben-
holz unter einem dicken Moskitonetz. Stundenlang
konnte sie nicht schlafen, lauschte den Stimmen des Urwalds und fragte sich zum x-ten Mal, welch kranke Besessenheit sie dazu trieb, ihr Leben und das all derer, die sich entschlossen hatten, ihr bis ans Ende der Welt zu folgen, aufs Spiel zu setzen.
»Was mache ich hier?« fragte sie sich leise.
Und ein weiteres Mal erhielt sie keine Antwort.
Jean-Claude Barriere, den schon seit vielen Jahren
niemand mehr so zu nennen wagte, schnaubte vor Wut.
Und wenn Mulay-Ali wütend war, dann zitterten Tau-
sende Männer, Frauen und Kinder.
Und das Schlimmste daran war: In diesem Fall waren
die grausamen, gefürchteten Wutanfälle Mulay-Alis
völlig berechtigt, und das kam nicht oft vor.
Er herrschte über ein Imperium, und dieses Reich
nährte sich von einem ständigen Warenfluß. Der sah so aus, daß Mulay-Alis Männer im Inneren Afrikas Sklaven einfingen und sie an die Küste trieben, wo gierige Kapitäne sich die wertvolle Ware streitig machten und gelegentlich mehr als das Hundertfache des anfänglich geforderten Preises zahlten.
Mit diesem Geld unterhielt er sein Heer und bezahlte die Kleinkönige. Diese arrangierten Kriege, die für den Nachschub an menschlicher Ware sorgten. Zur gleichen Zeit leistete er sich immer mehr Konkubinen und baute seine schöne Zitadelle aus, die allmählich zur wichtigsten menschlichen Enklave am rechten Ufer des Niger aufstieg.
Doch plötzlich drängelten sich an der früher viel be-fahrenen Küste keine Schiffe mehr, die auf Sklaven
warteten, niemand zahlte für sie, und da man sie nicht in ihre fernen Herkunftsorte zurückschicken konnte, mußte man sie Tag für Tag ernähren. Dabei
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