Piratin der Freiheit
beginnt.«
»Wird die Tollwut es beenden?«
»Nein, das habe ich dir schon gesagt. Vernichten wird dich der Zorn: ein riesiger, weißer, schweigender Zorn, der in den Armen eines feuchten, warmen Windes
kommt.«
»Die Schiffe der Weißen?«
Der Weise des Feuers zuckte fast unmerklich mit den Schultern.
»Möglich, daß es die Schiffe der Weißen sind«, flü-
sterte er. »Ich habe noch nie ein Schiff gesehen. Ich weiß nur, wenn es ausspuckt, dann ist sein Speichel wesentlich tödlicher als der Speichel Elegbas.«
»Aber warum?« beharrte der Mulatte. »Warum bricht
soviel Unheil über mich herein?«
»Vielleicht sind die Götter nicht mit dir zufrieden«, meinte der Bamileke mit leichter Ironie. »In Wahrheit verabscheuen sie dich und haben für dich ein schreckliches Schicksal bestimmt.«
»Was für ein Schicksal?«
»Willst du das wirklich wissen?«
»Ja.«
»Es ist nicht angenehm.«
»Ich glaube nicht, daß es mir Furcht einjagt.«
»Wie du willst«, billigte der andere. »Die Götter haben beschlossen, daß du, weil dein Vater wegen dir vor Kälte gestorben ist, vor Hitze sterben wirst. Ich kann nicht wissen, wie das geschehen wird, aber ich kann sehen, wie sich die Glut jeder Pore deines Körpers be-mächtigen wird, so wie die Kälte in jede Pore deines Vaters eingedrungen ist.« Seine Stimme klang etwas
bedauernd, als er hinzufügte: »Du wirst die Qualen der Hölle erfahren, noch bevor du in sie hinabsteigst. Und die Götter werden dir nicht einmal die Möglichkeit der Klage geben, denn das ist das Ende, auf das du in eigener Verantwortung Tag für Tag und Schritt für Schritt zugehst.«
»Und wann wird dieses Ende kommen?« wollte sein
Gegenüber wissen. »Bevor oder nachdem ich dir bei lebendigem Leib die Haut abgezogen habe?«
»Vorher…«, lautete die Antwort. »Lange vorher.«
»Wie kannst du da so sicher sein?«
»Zum einen, weil ich seit Jahren weiß, wann und auf welche Weise ich sterben muß«, befand der Weise des Feuers mit langerprobter Ruhe. »Und zum anderen,
weil der Mond müde ist, dich zu sehen.«
»Und was bedeutet das?«
»Er wird nicht mehr erscheinen, bevor er dich nicht tot weiß. Die Sonne pflegt toleranter zu sein und scheint allen, Guten wie Bösen, gleichermaßen Tag für Tag,
aber der Mond ist launisch, verbirgt sich und kehrt nicht wieder zurück, bis diejenigen, die er verabscheut, den Tod gefunden haben. Aus diesem Grund zeigt er
bei seiner Rückkehr stets ein leichtes Lächeln.«
»Ammenmärchen!«
»Wahrscheinlich«, räumte der Zauberer ein. »Meiner
Ansicht nach ist das nur eine alte Legende meines
Volks, aber glaube mir, wenn ich dir versichere, daß du das Lächeln des Monds nicht mehr sehen wirst. Deine Zeit ist abgelaufen.«
Er machte eine leichte Geste, warf eine Handvoll
Staub auf den Scheiterhaufen, aus der eine helle Stich-flamme aufloderte. Ihr folgte dichter schwarzer Rauch, und als sich dieser verzogen hatte, mußte Mulay-Ali erschrocken feststellen, daß sein Gegenüber verschwunden war.
Eine halbe Minute später öffnete sich eine winzige
Pforte gleich neben der, durch die er eingetreten war.
Als er ins Licht hinaustrat, stand Jean-Claude Barriere vor den Mauern des Palasts und dem unendlichen Niger, dessen Oberfläche einem Meer aus Blut glich. In diesem Augenblick ging nämlich gerade die rote Sonnenscheibe am gegenüberliegenden Ufer unter.
Ganz offensichtlich hatte Sakhau Ndu die Position jener kleinen Pforte perfekt auszuwählen gewußt, ebenso den präzisen Augenblick, in dem er seine Besucher
durch sie hinausschickte. Jeder, der einen schummrigen Raum verließ, dessen Boden eine leuchtende Glut war, und hinaustrat in einen afrikanischen Abend, in dem sowohl der Himmel als auch der Fluß sich in ein grelles Rot gefärbt hatten, wäre beeindruckt genug gewesen, um daran zu denken, daß die Natur wirklich mit dem
allmächtigen Weisen des Feuers eine unzerstörbare
Allianz geschlossen hatte.
Dennoch war der König vom Niger nicht in der Stim-
mung, die Schönheit der Landschaft zu bewundern.
Und nackt, wie er war, überkam ihn das seltsame Ge-
fühl, das letzte Wesen des Universums zu sein, das einzige Lebewesen, das noch immer atmete und das mit
dem Rest des Universums verschwinden würde, sobald
die leuchtende Sonne endgültig ins Wasser getaucht
wäre.
Die kleine Pforte hatte sich hinter ihm geschlossen, und der kleine Palast schien förmlich zu strahlen. Der schlaue Schamane, der zweifellos ein Meister der
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