Piratin der Freiheit
wird es in Brand stecken lassen.«
»Das bezweifle ich…«, erwiderte ihr Ehemann über-
zeugt, während er ihr half, an Bord zu klettern. »Mauer und Dächer sind deshalb so massiv, weil ich sie mit ge-brannten Ziegeln errichtet habe.« Er lächelte etwas geheimnisvoll und murmelte: »Und keiner wird es wagen, die Schwelle dieser Tür zu überschreiten.«
»Woher weißt du das?«
»Ich weiß es eben.«
Er sagte nichts mehr, aber kaum hatten die Ruderer in die Riemen gegriffen, da drang verzweifeltes Jaulen aus den Innenhöfen und Gärten des jetzt verschlossenen Palasts. Die Angst, die darin zu hören war, ließ einem das Blut gefrieren. Hunde, Katzen, Schweine, Esel, Ziegen, Kühe, Affen und was für Tiere sonst noch gerade im
Inneren des massiven Gebäudes waren, schienen sich
verabredet zu haben, auf so verzweifelte Weise zum
Himmel zu rufen.
Eines der Kinder stand plötzlich auf, so daß das Boot ins Schwanken geriet.
»Was ist los?« fragte es alarmiert. »Was hast du mit den Tieren angestellt?«
»Nichts…!« beruhigte es sein Vater mit einem leich-
ten Lächeln. »Ihnen geschieht nichts, aber mit diesem Lärm verteidigen sie das Haus wesentlich besser.«
»Und wie hast du es geschafft, daß sie sich so aufführen?« wollte seine Frau wissen.
»Ich habe ihnen etwas Brennesselsaft ins Wasser ge-
tan«, lautete die einfache Erklärung. »Sie werden die ganze Nacht hindurch jaulen, weil ihnen die Schnauzen brennen, und da sie von diesem Wasser nichts mehr
trinken wollen, wird jeder annehmen, daß sie die Tollwut haben.«
»Die Armen…!« stöhnte die kleinste Tochter. »Sie
werden vor Durst sterben.«
»Mach dir keine Sorgen, Kleine«, tröstete sie der Weise des Feuers und fuhr ihr durch die kurzen Ringellöckchen. »Manhud ist bei ihnen geblieben, und schon morgen gibt er ihnen anderes Wasser.«
Er schnalzte mit den Fingern, und die Ruderer setzten die Fahrt fort, immer nah am Ufer entlang. Hinter ihnen blieb der Chor aus durchdringendem und schmerz-erfülltem Bellen, Miauen, Blöken, Muhen und Wiehern zurück, der sich für immer der afrikanischen Landschaft bemächtigt zu haben schien.
Es war schon nach Mitternacht, als sich ihnen deutlich zu vernehmende Stimmen näherten. So versteckten sie sich zwischen den Ästen eines Busches, der direkt über dem Fluß hing, und bald konnten sie im Licht von Millionen Sternen zwei riesige Kanus erkennen, die mit fast zwanzig Kriegern an Bord in der Flußmitte stromaufwärts fuhren.
Als diese endgültig hinter ihnen verschwunden waren, fuhren sie weiter flußabwärts, bis sie die riesige Silhouette der schlafenden Zitadelle erblickten. Sie sah wie ausgestorben aus, obwohl ihre hohen Mauern und qua-dratischen Türme von zahllosen Feuern erleuchtet wurden, die die »Flüchtlinge« in ihren provisorischen Lagern entzündet hatten. Als der Weise des Feuers sie so sah, scheinbar so verlassen, mußte er sich fragen, was wohl in diesem Augenblick im verwirrten Hirn des
mächtigen Herrn der imposanten Festung vorging.
Er malte sich aus, wie Mulay-Ali auf einer der schim-mernden Kanonen saß, deren drohende Mündungen
zwischen den Zinnen herausragten. Vielleicht suchte er inständig nach der Mondsichel, die erst in drei Tagen wieder erscheinen würde. Den Weisen des Feuers
machte es froh, sich den Schrecken bestens vorstellen zu können, der in diesen Augenblicken das Herz des
abstoßendsten Menschen gefrieren ließ, den er je kennengelernt hatte.
Sakhau Ndu wußte besser als jeder andere, daß der
König vom Niger den Tod mehr als verdient hatte, aber er fand auch, daß es ungerecht gewesen wäre, den Mulatten sterben zu lassen, ohne daß er nicht wenigstens etwas von all den Schmerzen, die er so vielen Unglücklichen zugefügt hatte, zu spüren bekam.
Er hatte es so deutlich wie nie im Rauch der Scheite gelesen, daß die Götter für Mulay-Ali ein grauenvolles Ende vorgesehen hatten, dem wahrscheinlich eine
Ewigkeit voller unbeschreiblicher Leiden folgen würde.
Und es freute ihn, daß er dazu beigetragen hatte, die schreckliche Agonie des Mulatten ein wenig vorzuver-legen, indem er ihm eine Vorahnung davon gegeben
hatte, welches Grauen die Zukunft für ihn bereithielt.
Vatermörder, Schänder, Henker, Folterer, Renegat,
Verräter an seiner Rasse und Sklavenhändler: Jean-
Claude Barriere hatte sich alles Übel, das ihn erwartete, mehr als verdient. Man konnte lediglich bedauern, dass ihm so wenig Zeit blieb, die Bitterkeit seiner Strafe
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