Pitch Black
verändert, dass er der Englischlehrerin zum Verwechseln ähnlich klang. »Die Tatsache, dass der Kerl ein Säufer und Verbrecher war, lässt sie immer unerwähnt.«
Madison war beeindruckt, wie er es schaffte, diese einseitige Unterhaltung ganz natürlich klingen zu lassen. Und sie war mehr als nur ein bisschen schockiert von seinem detaillierten Wissen über O. Henry. Sie fragte sich, inwieweit dieser Spott über den Schriftsteller eine Schau war, die er vor Gleichaltrigen abzog–ein schützendes Überbleibsel aus seinem früheren Leben.
Ihr war früh aufgefallen, dass er seine Faszination für Bücher und Sprache mit Herabsetzungen und Kraftausdrücken tarnte. Sie vermutete, in der grausamen Welt seiner Kindheit wären solche Vorlieben als Schwäche ausgelegt worden. Und Schwäche zu zeigen, das bedeutete, sich selbst als Opfer anzubieten.
Nach einer kurzen Pause sagte er: »Ist schon gut. Du musst nicht sprechen, bevor du nicht bereit dazu bist.« Plötzlich hellte sich sein Gesicht auf, als hätte er den Schlüssel zu einem Geheimnis gefunden. »Genauer gesagt, ich möchte, dass du mit mir als Erstes redest. Also sag zu niemandem ein Wort, bis ich wieder zurück bin und dich mit all dem Quatsch foltern kann, den uns Mrs Hillenberg heute aufs Auge drückt.«
Madison fragte sich, ob diese Forderung zu Jordan durchgedrungen war. Würde es für den Jungen genug Ansporn sein, bei Ethans Rückkehr aus sich herauszugehen?
Er trat einen Schritt vom Bett zurück, hielt die Augen aber noch kurz auf Jordan gerichtet. Dann sah er zu Madison. Er war ein Meister darin, seine Gefühle zu verbergen; doch sie hätte schwören können, dass da auch ein Funken Erleichterung war, irgendwo in all seiner Besorgnis und Traurigkeit.
Im Smoky Ridge Café war Steve McPhersons Unfall das Hauptgesprächsthema. Gabe brauchte das Gerede gar nicht im Einzelnen zu hören, um das zu wissen–als er hereinkam, stand es jedem der Gäste ins Gesicht geschrieben. Überall begegneten ihm neugierige Blicke, obwohl die Leute aus Erfahrung wussten, dass er nichts, was mit seiner Arbeit zusammenhing, öffentlich diskutieren würde. Das hinderte sie allerdings nicht daran, Fragen zu stellen.
Er setzte sich an seinen üblichen Tisch im hinteren Teil des Speiseraums. Heute wandte er der Menge den Rücken zu, nur für den Fall, dass deren Wissbegierde Oberhand über den gesunden Menschenverstand bekam.
Eine Speisekarte brauchte er nicht. Seit zwei Jahren saß Gabe unter der Woche jeden Morgan an diesem Tisch und aß das gleiche Frühstück. Er brauchte nur hier aufzutauchen, der Rest lief quasi automatisch ab. Deshalb war er auch leicht überrascht, als die Bedienung, Little Peggy–die man nicht einfach Peggy nennen konnte, weil das der Name ihrer 85-jährigen Mutter war–, ohne Kaffee und Essen bei ihm am Tisch erschien.
»So allein heute Morgen, Sheriff?« Ihre Augen wanderten zu dem leeren Stuhl gegenüber.
»Ich bin jeden Morgen allein da, meine Liebe.«
»Schon, aber…äh…also, ich habe gehört, dass Sie gestern Gesellschaft gehabt haben. Und da hab ich gedacht…« Sie beließ es bei der Andeutung.
Er sollte das gleich im Keim ersticken, bevor Madison davon Wind bekam. Aber irgendwie gefiel ihm die Vorstellung, dass die Leute in ihnen beiden ein Paar sahen.
Lächelnd zwinkerte er. »Heute bin ich allein da.«
Sie neigte ihren Kopf mit dem schon ergrauenden Haar und zwinkerte zurück. »Na gut. Dann hol ich Ihnen schnell den Kaffee.« Sie war schon unterwegs, als sie plötzlich stehen blieb und sich noch mal zu ihm umdrehte. »Freut mich zu hören, dass die Zeitungsfrau sich auch mal mit uns gewöhnlichen Leuten abgibt. Die muss ja ganz schön einsam sein, die Ärmste.«
Trotz der letzten Anmerkung schwang ein deutlicher Unterton der Missbilligung in ihrer Feststellung mit. Gabe fragte sich, wann die Leute Maddie wohl nicht mehr als Außenseiterin, als Eindringling betrachten würden.
Wahrscheinlich erst wenn die Hölle zufriert.
War Maddie einsam? Das würde sie nie im Leben zugeben. Aber Little Peggy hatte recht. Manchmal, in unachtsamen Momenten, ließen Maddies Augen ihre Sehnsucht nach Nähe erkennen. Aber diese Momente waren stets blitzschnell vorbei, viel zu schnell, als dass er eine Chance gehabt hätte.
Bisher jedenfalls.
Unmittelbar nach dem Kaffee traf auch Dr. Zinn ein.
Sie ließ sich auf den Stuhl ihm gegenüber nieder. »Morgen, Gabe.«
»Morgen, Dot. Überrascht mich, dass du hier bist. Ich habe immer gedacht,
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