Pitch Black
Artikel inklusiveüberraschender Statistiken bezüglich kleiner Städte und ländlicher Gemeinden der Aufmacher auf Seite eins sein würde.
Madison sah auf die Uhr in ihrem Computer. Zehn nach acht. Na los, Julia. Du wirst doch jetzt keine kalten Füße kriegen.
Ihr Handy, das auf dem Schreibtisch lag, klingelte.
»Ethan meldet sich wie befohlen.«
»Du brauchst nicht den Klugscheißer zu spielen. Du bist zehn Minuten zu spät dran.«
»Ich bin vorm Fernseher eingeschlafen.«
Sie antwortete mit einem skeptischen Grunzen.
»Jetzt mal ernsthaft–wie lange soll ich das eigentlich noch machen?«
»Vielleicht für immer. Ich höre deine Stimme so gern.«
»Ich komme mir vor wie angeleint.«
»Gut.«
Er stöhnte und legte auf.
Madison warf ihr Handy auf den Schreibtisch zurück. Einem Kind Hausarrest zu erteilen, das so gelebt hatte wie Ethan, kam ihr ein bisschen so vor, als würde man die Stalltür zusperren, nachdem die Kuh bereits draußen im Sturm war. Aber irgendetwas musste sie schließlich tun. Wenn sie ihn bloß dazu kriegen könnte, sich ihr zu öffnen und zu erzählen, was los war.
Mit einem erschöpften Seufzer wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu. Statt ihren Artikel zu beenden, ertappte sie sich dabei, wie sie das Telefon anstarrte, als könne sie es zwingen zu klingeln. Julia war ganz offensichtlich nervös, weil jemand mitbekommen könnte, dass sie über Zachs Doping sprach. Sie hatte den Schulcomputer und die E-Mail-Adresse der Zeitung benutzt, aber nirgendwo in der E-Mail tauchte ihr Name auf. Am Tag von Zachs Beerdigung hatte Madison ihr zugesichert, dass sie anonym bleiben würde, wenn sie ihr Informationen zukommen ließe…worauf sie weit mehr Anrecht hatte als diese Arschlöcher, die ihr die Briefe geschickt hatten.
Um 20 Uhr 30 gab Madison das Warten auf und tippte ihren Artikel zu Ende. Sie hätte gern geschrieben, dass sie kurz davorstand, die Quelle für die Anabolika benennen zu können, aber das würde noch warten müssen. Wenn sie die Informationen bekam, musste sie sie sowieso erst noch überprüfen und bestätigen. Doch ein Hinweis von Julia würde ihr sicher dabei helfen, die Herkunft der Medikamente aufzudecken–egal ob sie über das Internet, per Post oder von einem Einwohner des Ortes geliefert wurden.
Um 20 Uhr 45 nahm Madison ihre Jacke und ihre Lieblingstasche von Kenneth Cole, die Ethan ihr letztes Jahr zu Weihnachten geschenkt hatte–das Geld dafür hatte er sich mit dem Ausführen von Hunden verdient. Dann machte sie das Licht in ihrem Büro aus. Die Straßenlaternen schienen hell genug durch die Glasfront im vorderen Teil der Redaktion, also musste sie sich keine Sorgen machen, dass sie sich beim Hinausgehen den Hals brechen würde.
Nachdem sie die Tür zu ihrem Büro abgeschlossen hatte–eine Gewohnheit, die sie nach dem jahrelangen Umgang mit vertraulichem Material auch in diesem schläfrigen Städtchen nicht ablegen konnte–, ging sie in Richtung Ausgang. Sie zog die Jacke über und jonglierte dabei die Tasche von einer Hand in die andere. Das Geräusch ihrer Absätze auf dem Parkettboden hallte von den leeren Schreibtischen und den stummen elektronischen Geräten wider.
Sie strich den Kragen ihrer Jacke glatt, sah hoch–und blieb wie angewurzelt stehen. Im Licht der Straßenlaterne lehnte eine große, breitschultrige Gestalt gegen die gläserne Eingangstür. Der Mann hatte anscheinend die Kapuze eines Sweatshirts über den Kopf gezogen und stand so regungslos da, dass Madison einen Moment lang glaubte, es handle sich nur um eine optische Täuschung–etwas, das ihre Augen zu sehen meinten, weil sie sich noch nicht von dem hellen Licht in ihrem Büro umgestellt hatten. Doch dieser Gedanke war nur ein Versuch ihres Verstands, die Angst in den Griff zu bekommen. Der Mann war wirklich da…und er ging auch nicht weg.
Den Blick auf die Gestalt geheftet, machte sie langsam einen Schritt nach hinten und fasste in ihre Tasche, um das Handy zu suchen. Instinktiv bewegte sie sich wie in Zeitlupe, so als ob sie einer giftigen Schlange gegenüberstünde. Dabei würden auch noch so langsame Bewegungen am Ergebnis dessen, was hier ablief, nichts ändern.
Sie zwang sich zu atmen, während sie in der Tasche nach ihrem Handy wühlte, dankbar für fünf Meter und eine verschlossene Tür zwischen ihr und demjenigen, der da draußen stand. Endlich fanden ihre tastenden Finger das Telefon. Mit der gleichen Behutsamkeit zog sie es heraus und öffnete es, wobei sie die
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