Pitch Black
riesigen Doppeltastatur wirkte der Organist richtig zwergenhaft. Aus den Orgelpfeifen dröhnten so tiefe Töne, dass Madison sie in der Brust spüren konnte.
Sie sah Ethan an. Er hatte den Finger in den Kragen geschoben und nestelte an ihm herum. Sein Blick war starr auf den blumengeschmückten Sarg am Ende des Mittelgangs gerichtet.
Reichlich spät kam ihr ein Gedanke. Sie lehnte sich nah zu Ethan und flüsterte: »Ist das deine erste Beerdigung?«
Er senkte den Blick und nickte.
Sie drückte ihm kurz die Hand, ließ sie aber sofort wieder los, damit es ihm nicht peinlich war.
Der Gottesdienst begann. Der Pfarrer las aus der Bibel, dann sprach er über Steve McPhersons Liebe zu seiner Familie und seine Wohltaten für die Gemeinde. Der einzige Hinweis darauf, dass Steve ermordet worden war, fand sich in dem Nebensatz, dass seinem Leben durch eine gewalttätige Hand frühzeitig ein Ende gesetzt worden sei.
Eine junge Frau, die Madison nicht kannte, stieg die Stufen hinauf, nahm das Mikrofon und sang die–laut Aussage des Pfarrers–Lieblingshymne von Steve, »Amazing Grace«. Ihre junge Stimme war hell und schön und hätte einen auch zu Tränen gerührt, wenn man sich nicht auf einer Beerdigung befunden hätte.
Als Madison zu Ethan blickte, hatte er den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen.
Dann stellte der Pfarrer Todd vor, der ein paar Worte über seinen Vater sagen wollte.
Es war auch vorher schon leise in der Kirche gewesen, aber als Todd auf die Kanzel stieg, wurde es mucksmäuschenstill.
»Sie alle wissen, dass Da…ad…« Seine Stimme brach, und er räusperte sich. »…sich gerne im Freien aufhielt. Und er ging sehr gern mit meinem Bruder und mir zum Zelten.«
In der ersten Reihe war ein unterdrückter Schluchzer zu hören. Madison nahm an, dass Kate ihn ausgestoßen hatte. Das hier musste ihr das Herz zerreißen. Die Vorstellung, dass Begräbnisse dem Trost der Familie dienten, schien plötzlich grotesk.
Als Todd weitersprach, zitterte seine Stimme nur noch leicht. »Und ich hoffe, dass sich jeder daran erinnern wird. Viele von euch wissen, dass er öfter in gefährliche Situationen geriet als die meisten anderen Menschen. Zum Beispiel als er auf dem Mt. Hood festsaß, da dachten wir wirklich, wir müssten einen Suchtrupp in den Yosemite Park schicken. Und obwohl ich mir nie vorgestellt habe, dass es auf diese Art geschehen könnte, wusste ich doch immer, dass Dad…« Er hielt inne und atmete tief ein. »…diese Welt von einem Ort aus verlassen würde, dessen Schönheit von Gott selbst geschaffen war. Ich bitte euch nur um eins: Immer wenn ihr in der Natur etwas Schönes entdeckt, dann denkt an Steve McPherson und an seine Liebe für seine Familie und für die freie Natur.«
Er trat vom Mikrofon weg.
Der Priester erhob sich von seinem Stuhl am Rand des Podiums, schüttelte Todd die Hand, zog ihn an sich und klopfte ihm auf den Rücken. Einen Moment verharrte Todd in der angedeuteten Umarmung des Pfarrers, dann ging er die Stufen hinunter und setzte sich auf seinen Platz.
Unter Kates Schluchzen mischten sich in der gut gefüllten Kirche viele weitere, diskretere Schniefer.
Der Pfarrer begab sich wieder auf die Kanzel und sprach ein abschließendes Gebet. Nach dem letzten »Amen« stimmte der Organist ein gedämpftes, düsteres Stück an. Dann traten die Trauernden Reihe für Reihe, beginnend mit der ersten, an den Sarg heran, um ein letztes Mal Abschied zu nehmen. Die Familie blieb sitzen und nahm die Beileidsbekundungen der vorbeidefilierenden Menschen entgegen.
Madison spürte, wie Ethan sich neben ihr versteifte.
Sie ließ den Arm über die Lehne gleiten und legte ihm die Hand auf den Rücken. Durch sein Hemd hindurch fühlte sie, dass er vor Nervosität schwitzte. »Du kriegst das schon hin.«
Sobald die Trauernden am Sarg vorbeigeschritten waren, gingen sie den Mittelgang hinunter, um draußen darauf zu warten, dass der Sarg für die Prozession zum Friedhof herausgetragen wurde.
Als Madison zum ersten Mal bemerkte, dass ihr jemand im Vorbeigehen einen anklagenden Blick zuwarf, glaubte sie noch, sie bilde sich das nur ein. Trauer und Missbilligung konnten sehr ähnlich wirken. Aber sie musste ihre Einschätzung bald korrigieren. Zwei oder drei weitere Leute sahen sie fast schon vernichtend an, während sie sich auf den Ausgang zubewegten. Madison konnte es kaum fassen, dass die Menschen ihre Probleme mit ihrem Artikel zu diesem Begräbnis mitschleppten.
Kämpferin, die sie war,
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